Wie funktioniert ein Nachteilsausgleich?
Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen, die zielgleich unterrichtet werden, haben Ansprüche auf einen Nachteilsausgleich im Rahmen der allgemeinen Fürsorgepflicht der Schule. Entsprechende Regelungen sind im Sozialgesetzbuch IX im Paragraph 126 geregelt. Den Betroffenen dürfen beim schulischen Lernen und bei Prüfungen (Klassenarbeiten, Tests, Lernzielkontrollen) aufgrund ihrer Behinderung oder Beeinträchtigung keine Nachteile entstehen. Dieser Anspruch leitet sich auch aus Artikel 3 des Grundgesetzes und aus Paragraf 48 des Schwerbehindertengesetzes ab.
Der Nachteilsausgleich besteht unabhängig von anderen schulischen Maßnahmen wie etwa dem zieldifferenten Unterricht (wenn den Leistungsanforderungen der allgemeinen Schule nicht entsprochen wird) oder von der besonderen Förderung von Schülerinnen und Schülern. Er dient der Kompensation der durch die Beeinträchtigung entstehenden Nachteile und stellt keine Bevorzugung gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern dar. Als wesentlicher Bestandteil eines "barrierefreien Unterrichts während der gesamten Schullaufbahn" ist er in der Richtlinie der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 20.10. 2011 aufgenommen und schließt auch die Berufsausbildung ein.
Nachteile sollen kompensiert werden
Nachteilsausgleiche sollen behinderungsbedingte Nachteile kompensieren. Durch gut gewählte und pädagogisch gelungene Nachteilsausgleiche wird betroffenen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, ihre Leistungsfähigkeit zu zeigen, ohne dass motorische oder sprachliche beziehungsweise akustische Schwierigkeiten ihnen den Zugang zur Aufgabe verschließen und der Lerninhalt versperrt bleibt.
Zu berücksichtigen sind die individuellen Voraussetzungen der Kinder und Jugendlichen, die Unterrichtsspezifik, schulische Rahmenbedingungen und die Bedeutung der jeweiligen Leistungsfeststellung. Die Notwendigkeit der ausgleichenden Maßnahme und die Angemessenheit müssen dabei immer einsichtig und nachvollziehbar sein. Die Bedeutung, der Sinn und die Notwendigkeit müssen auch dem Betroffenen gut erläutert werden. Dies kann dem Bestreben, so sein zu wollen wie alle anderen, entgegenstehen. Dabei wird die Verknüpfung mit Zielen der Persönlichkeitsentwicklung deutlich. Die Auseinandersetzung mit dem Anderssein sollte begleitend Thema in der Klasse sein.
Ungleichbehandlungen werden aufmerksam beobachtet
"Der Nachteilsausgleich muss so beschaffen sein, dass er in den Klassen in seiner Berechtigung und Angemessenheit angenommen werden kann und von den in Anspruch nehmenden Schülerinnen und Schülern nicht als diskriminierend bewertet wird." (Behrens/Wachtel 2008, 145) Ungleichbehandlungen werden von Kindern und Jugendlichen meist sehr aufmerksam beobachtet. Daher muss die Gewährung des Nachteilsausgleichs bezüglich der Verhältnismäßigkeit und Gerechtigkeit diskutiert werden. In den Diskussionen wird meist schnell klar, dass der durch die Benachteiligung entstehende Nachteil nie voll ausgeglichen werden kann. Es ist wichtig, dass sich Mitschülerinnen und Mitschüler gegenüber benachteiligten Klassenkameraden nicht selbst benachteiligt fühlen.
Der Nachteilsausgleich darf nicht zu einer Abwertung der Leistungen führen. Deshalb sind Hinweise auf den Nachteilsausgleich in Zeugnissen nicht statthaft (vgl. KMK 2011). Der Anspruch auf einen Nachteilsausgleich ist grundsätzlich zu prüfen, "wenn zu vermuten oder zu erwarten ist, dass eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund besonderer Umstände zu einer gegebenen Zeit das tatsächliche Leistungsvermögen nicht realisieren kann. (Behrens/Wachtel 2008, 144 f.) Es ist immer Ziel eines Nachteilsausgleichs, dass Leistungen auf eine Art nachgewiesen werden können, die den individuellen Einschränkungen angemessen ist. Wenn die genannten Voraussetzungen für einen Nachteilsaugleich erfüllt sind, muss dieser auch gewährt werden.
Es gibt pädagogischen Ermessenspielraum
Ob ein Nachteilsausgleich gewährt wird, ist also gesetzlich festgelegt. Interessant ist die Fragestellung, wie dieser letztendlich aussieht. Hier gibt es pädagogischen Ermessenspielraum bei Lehrkräften, Klassenkonferenzen und auch bei Schulbehörden. Die Inhalte des Nachteilsausgleichs müssen individuell festgelegt werden, Art und Umfang der Gewährung ist eine rein pädagogische Entscheidung, welche mit größtmöglicher Offenheit und Kreativität zu treffen ist. Nachteilsausgleiche gelten sowohl für den Unterrichtsalltag als auch für alle Leistungsnachweise.
Dabei können die Übergänge zwischen individualisiertem Unterricht und Nachteilsausgleich an manchen Stellen fließend sein. Jedes chronisch kranke Kind benötigt seinen individuellen Nachteilsausgleich. Dieser umfasst die gesetzlichen Vorgaben und sollte auch soziale Aspekte berücksichtigen. Abhängig vom jeweiligen Bundesland wird zur Bewilligung eines Nachteilsausgleichs ein ärztliches Attest verlangt, falls nicht schon ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert wurde. Der Nachteilsausgleich kann in den meisten Bundesländern auch unabhängig von einem diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf beantragt werden. Aber es gilt generell für alle Länder:
Gewährt werden kann ein Nachteilsausgleich in allen Schulformen. Notwendig ist der Antrag eines Erziehungsberechtigten oder die Empfehlung der betreuenden Lehrkraft. Der gemeinsam festgelegte Nachteilsausgleich ist für den vereinbarten Zeitraum verbindlich und muss von allen Lehrkräften berücksichtigt werden. Ist aufgrund einer langen Erkrankung nur eine unzureichende oder keine Bewertung der Schülerleistung möglich, dann müssen die Verordnungen der jeweiligen Bildungsgänge und die dazugehörigen Verwaltungsvorschriften angewandt werden. Bewertungen fallen nicht unter den Nachteilsausgleich.
Eltern berichten von Schwierigkeiten
Bei der Erstellung eines Nachteilsausgleichs müssen die persönlichen Ressourcen des Schülers oder der Schülerin, Familie, und Sozialstruktur berücksichtigt werden. Ist ein Jugendlicher intensiv in ärztlicher Behandlung und muss er zusätzlich Therapieangebote mit weiteren Wegen in Anspruch nehmen, kann es sein, dass eine Reduzierung der Hausaufgaben als Nachteilsausgleich nicht ausreicht. Dann muss erwogen werden, ob er nur die Hälfte der Unterrichtsfächer in einem und die andere Hälfte in einem weiteren Jahr absolviert und damit durch einen "Gestaffelten Schulabschluss" zum Ziel kommt.
Bei Umfragen berichten Eltern oftmals von Schwierigkeiten bei der Ausgestaltung der Nachteilsaugleiche. Deren Anwendung ist bisher keine durchgehende Selbstverständlichkeit im Schulalltag. Hier ist eine Verständigung mit dem gesamten Lehrerkollegium notwendig, vermittelt und moderiert durch die Schulleitung.
Für Schülerinnen und Schüler muss die Sicherheit bestehen, dass ein zugesagter Nachteilsausgleich zuverlässig gewährt wird. In weiterführenden Schulen mit häufig wechselndem Lehrpersonal kann dies zu erheblichen Schwierigkeiten führen, wenn es keine passgenaue Abstimmung gibt. Hier bietet es sich an, eine Lehrkraft als Ansprechpartner festzulegen, der auf die Einhaltung achtet.
Die Vereinbarung über den Nachteilsausgleich sollte schriftlich vorliegen und mit den Eltern und dem Schüler besprochen werden. Nachteilsausgleiche sind regelmäßig zu überprüfen hinsichtlich der Durchführbarkeit und eventuell der Anpassung an den Entwicklungsstand des Jugendlichen. Hilfen bei der individuellen Erstellung eines Nachteilsausgleichs können, je nach Bundesland, der sonderpädagogische Dienst, Ärzte und Ärztinnen, Beratungsstellen sowie Lehrkräfte an Kliniken und Förderzentren geben.
AUTORIN:
Kathleen Krause M.A. leitet das durch die Robert Bosch Stiftung unterstützte Projekt Netzwerk "Schule und Krankheit" an der Universität Potsdam
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