Illustration: a priori

Illustration: a priori

„Man muss genau hingucken“

  • Präventionsmaßnahmen gegen sexualisierte Gewalt
  • Wie eine Schule ein Schutzkonzept erarbeitet und etabliert hat
  • Wichtig ist es, die ganze Schulgemeinde einzubinden

 

Egal, ob Jugendliche intime Nacktfotos im Netz weiterleiten oder pubertäres Machogehabe an den Tag legen, für Schulleiter Jörg Möller steht fest: „Dabei werden Grenzen verletzt.“ Er ist überzeugt, dass so etwas an jeder Schule vorkommt. „Man muss genau hingucken – und sagen: Das geht nicht!“ Jörg Möller ist Prävention ein sehr wichtiges Anliegen. Deshalb hat er sich dafür stark gemacht, dass die Rhenanus-Schule in Bad Sooden-Allendorf ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt entwickelt. Damit gehört die Schule noch zur Minderheit.


Zwar haben sich inzwischen alle Bundeländer der Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ angeschlossen. Doch bislang hätten nach Angaben des Deutschen Jugendinstituts nur etwa 13 Prozent der Schulen ein umfassendes Schutzkonzept, berichtet Nikola Poitzmann, Landeskoordinatorin im Projekt „Gewaltprävention und Demokratielernen“ des Hessischen Kultusministeriums. „Aber es tut sich etwas. Immer mehr Schulen machen sich auf den Weg.“ Vor ein paar Jahren habe es noch kaum ein Problembewusstsein gegeben, das habe sich geändert. „Das ist auch wichtig.“ Das Thema betreffe Schülerinnen und Schüler sehr stark. Der hessischen SPEAK!-Studie zufolge hätten 81 Prozent der Jugendlichen bereits Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt gemacht, das heißt: Sie wurden entweder selbst Opfer, haben eine Tat beobachtet, davon gehört oder waren beteiligt.


An der Rhenanus-Schule hat sich das gesamte Schulkollegium für ein Schutzkonzept ausgesprochen. So etwas müsse von der breiten Mehrheit getragen werden, betont Möller. Sonst drohe die Gefahr, dass das Schutzkonzept nur für den Aktenordner produziert werde.


Das Kollegium setzt jedes Papier per Beschluss in Kraft. Ein Team – neben Schulleitung und Lehrkräften gehören dazu auch der Schulsozialarbeiter und der Schulpsychologe – entwickelte das Schutzkonzept und begleitet die Umsetzung. Zum Inhalt gehört zum Beispiel ein Notfallplan mit klaren Abläufen: Was tun beim Verdacht auf Kindeswohlgefährdung? Außerdem ein Gesprächsleitfaden für Lehrkräfte. Und eine Gefahrenanalyse. Viele „gute Materialien“ konnte die Schule dabei von Johannes-Wilhelm Rörig, dem Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, übernehmen.


Einmal im Vierteljahr kommt das Team turnusmäßig für einen Austausch zusammen und plant weitere Schritte. Was steht als Nächstes an? Im Schulgebäude gibt es ein paar dunkle Ecken, in denen sich Schülerinnen und Schüler unwohl fühlen. Im Treppenhaus zum Beispiel. „Diese Bereiche wollen wir anders gestalten, heller und freundlicher“, berichtet der Schulleiter. Seiner Meinung nach ist es sinnvoll, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler einzubeziehen. Die Jugendlichen wissen oft selbst am besten, wo Handlungsbedarf besteht. Deshalb wird die Schülervertretung zum nächsten Jour fixe eingeladen. „Sie hat einen guten Blick auf Probleme.“

„Die ganze Schulgemeinde einbinden“


Was sollten Schulen berücksichtigen, wenn sie ein Schutzkonzept umsetzen möchten? Antworten von Nikola Poitzmann, Landeskoordinatorin im „Projekt Gewaltprävention und Demokratielernen“ des Hessischen Kultusministeriums.


Mit einem Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt lässt sich viel bewirken. Zum einen sollen Schulen nicht zum Tatort werden, zum anderen ein Kompetenzort sein, an dem Kinder und Jugendliche Hilfe finden. Doch im Gegensatz zu Kitas sind Schulen nicht verpflichtet, sondern nur dazu aufgerufen, ein Schutzkonzept zu entwickeln. Deshalb ist es hilfreich, wenn die Schulleitung dahintersteht. Aber Fakt ist auch: Alleine geht es nicht. Es gilt, die ganze Schulgemeinde einzubinden: Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern, vielleicht den Hausmeister oder die Kioskverkäuferin. Ins Schutzkonzept gehört – neben vielen anderen Bausteinen – ein gutes Beschwerdemanagement. Außerdem müssen kompetente Ansprechpersonen benannt werden, an die sich Schülerinnen und Schüler im Ernstfall wenden können. Wichtig ist auch ein Verhaltenskodex: Lehrkräfte müssen einen respektvollen Umgang vorleben, selbst Grenzen wahren. Wichtig ist, dass das Schutzkonzept regelmäßig aktualisiert wird.

 

Was gehört u. a. ins Schutzkonzept?


Die Beraterin empfiehlt, bei Fachverbänden nach Supervisoren zu suchen. Es gibt zertifizierte Ausbildungen, dafür stehen zum Beispiel die Kürzel DGsP, DGsF und DGSv. Doch auch die eigene Intuition ist bei der Auswahl gefragt: „Wer Hilfe sucht, sollte sich nicht nur über die Ausbildung der Fachkraft informieren, sondern bei der Auswahl auch auf sein Bauchgefühl hören.“ Regina Bungartz empfiehlt: „Es ist wichtig, sich beim Erstkontakt von der Kompetenz zu überzeugen und zu überprüfen, ob man vertrauensvoll zusammenarbeiten kann.“

 

  • Risiko- und Potenzialanalyse: Wo liegen Gefahren? Welche Ressourcen hat die Schule bereits?
  • Leitbild: Schutz der Schülerinnen und Schüler festschreiben.
  • Interventionsplan: Was tun im Verdachtsfall?
  • Kooperation: Unterstützung durch externe Fachkräfte.
  • Fortbildungen tragen zur Sensibilisierung bei.
  • Verhaltenskodex: Klare Regeln schützen Schülerinnen und Schüler und bewahren auch Lehrkräfte vor falschem Verdacht.
  • Partizipation: Mitbestimmung stärkt Kinder und Jugendliche.
  • Präventionsangebote
  • Ansprechpersonen: An wen können sich Schülerinnen und Schüler in Notlagen wenden?

 


Kathrin Hedtke, freie Journalistin

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