Die Umstellung auf digitalen Unterricht, die dafür oftmals fehlende Ausstattung und Übung, ständig wechselnde Bestimmungen inklusive der Durchführung von Testungen, andauernde Angst vor erneuten Schulschließungen, Personalmangel und permanente Diskussionen im Kollegium und mit den Eltern: All das verlangt von den Lehrkräften viel Engagement bis an die Grenzen der Belastbarkeit und manchmal darüber hinaus.
Das belegt auch die gestiegene Anzahl an Anrufen beim telefonischen psychosozialen Beratungsangebot für Lehrerinnen und Lehrer „Sprech:Zeit 24/7“ in Nordrhein-Westfalen. Dieses wird im Auftrag des Ministeriums für Schule und Bildung von der BAD GmbH betrieben, einem überbetrieblichen Dienstleister, der für die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung der Lehrkräfte in Nord-rhein-Westfalen zuständig ist. Die Hotline wurde seit Beginn der Pandemie deutlich häufiger in Anspruch genommen als in Vor-Corona-Zeiten. So gingen laut BAD-Jahresbericht im Jahr 2020 durchschnittlich mehr als 260 Anrufe pro Monat ein, mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Der größte Teil der Anruferinnen und Anrufer suchte Unterstützung in den Themenbereichen „Belastungen durch die Auswirkungen von Krankheit“ und „psychische Belastungen“.
Ähnliches beobachtet Dipl.-Psych. Katrin Kreinberg von Medical Airport Service GmbH (MAS), dem arbeitsmedizinischen Dienstleister für die Schulen in Hessen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. „Wir haben unsere hessische Beratungshotline erst in der Pandemie gestartet, deshalb liegen uns keine Vergleichszahlen zu früheren Zeiten vor. Aber die meisten Anrufe haben einen direkten Bezug zu Corona. Die Lehrkräfte leiden unter den hohen Anforderungen, zum Beispiel durch Konflikte aufgrund von Diskussionen mit Impfgegnern, dem Ärger mit nicht funktionierender Technik oder konkreten Ängsten vor dem Virus.“ Die anrufenden Lehrkräfte erhalten psychologische Unterstützung, bei Bedarf bis zu fünf Mal.
Was viele Lehrkräfte nicht wissen: Sie haben bereits seit 1996 nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) einen Anspruch auf eine Beurteilung der mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdungen. Dies schließt die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz ausdrücklich mit ein. Verantwortlich für eine Gefährdungsbeurteilung ist grundsätzlich immer der Arbeitgeber. Dies ist für Lehrkräfte an öffentlichen Schulen der Schulhoheitsträger beziehungsweise der Dienstherr, in der Regel also das zuständige Ministerium des jeweiligen Bundeslandes. Damit der Schulhoheitsträger dieser Verantwortung gerecht werden kann, hat der Gesetzgeber ihn verpflichtet, Betriebsärztinnen beziehungsweise -ärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. „Diese Personen haben die Aufgabe, den Arbeitgeber in allen Fragen der Sicherheit und Gesundheit zu unterstützen“, erklärt Annette Michler-Hanneken, Leiterin des Fachbereichs „Bildungseinrichtungen“ bei der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Das läuft konkret folgendermaßen ab: Der Arbeitgeber beauftragt in der Regel einen überbetrieblichen arbeitsmedizinischen Dienstleister wie den BAD, den TÜV oder den MAS, der ihn unter anderem bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unterstützt. „Als Führungskraft vor Ort ist aber auch die Schulleitung in der Verantwortung“, so Michler-Hanneken. „Dies ergibt auch Sinn, weil sie die schulischen Abläufe und damit verbundenen Belastungen in der Regel gut kennt.“
„Die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen kann ein systematischer Einstieg in die Etablierung von Maßnahmen zum Erhalt der Gesundheit der Lehrkräfte sein beziehungsweise in ein bestehendes Konzept integriert werden“, erklärt der leitende Arbeitspsychologe Dr. Tobias Felsing von MAS, gibt aber zu bedenken: „Es ist ein eher langfristiger Prozess, der gewisse Zeit kostet. Daher eignet sich dieses Instrument weniger für Lehrkräfte, die akut Hilfe und Unterstützung brauchen.“ Diesen rät Felsing, sich direkt an den für ihre Schule zuständigen betriebsärztlichen oder schulpsychologischen Dienst zu wenden. Weitere Ansprechpartner sind die Schulleitungen, die Unfallversicherungsträger und die Personalvertretungen.
Die gesetzliche Grundlage für die Verpflichtung des Arbeitgebers, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen durchzuführen, ist § 5 Abs. 3 Nr. 6 ArbSchG.
Wie diese genau funktioniert, ist in den Bundesländern unterschiedlich organisiert.
Eine Linkliste mit den zuständigen arbeitsmedizinischen Dienstleistern wie BAD, TÜV oder MAS und weiteren Informationen finden hier.
Autorin: Gabriele Albert, Redakteurin (Universum Verlag)