Es muss schwierig gewesen sein: Ein veraltetes Schulgebäude mit engem Räumen, das Kollegium voller Konflikte, jede Menge Pausenprügeleien – und der Unterricht funktionierte schlecht bis gar nicht. Dazu eine belastete Atmosphäre: „Es wurde viel rumgeschrien“, erinnert sich Frank Wagner, als er vor 14 Jahren Schulleiter der Gebrüder-Grimm-Schule wurde.
Herausfordernd war auch das soziale Umfeld der Schule. Bockum-Hövel gilt als Gebiet mit Erneuerungsbedarf, in dem viele bildungsferne Familien und Menschen mit Migrationshintergrund leben. Dem neuen Schulleiter begegneten die Schülerinnen und Schülern mit wenig Respekt. Sie versuchten, ihn im Unterricht „auseinanderzunehmen“, erinnert er sich. Und ahnte damals: Das Wichtigste ist, guten Kontakt zu den Kids aufzubauen, „sonst geht hier bald gar nichts mehr“.
Um den „guten Draht“ wiederzufinden, rückte die Beziehungsarbeit in den Mittelpunkt. Ein Patentrezept dafür gab’s nicht, es lief eher nach der Devise: Wir probieren, was funktioniert. Zum Beispiel luden Schulleiter und Lehrkräfte zu unkonventionellen Schulversammlungen, veranstalteten Castingshows nach DSDS-Vorbild. „Da waren die Schülerinnen und Schüler Feuer und Flamme“, erzählt der Schulleiter. Eine Lehrerin begann, in ihrem Unterricht Musik zu spielen, die Schülerinnen und Schüler tanzten. Aus dieser Idee entwickelte sich später das Format Morgentanz, das mittlerweile fester Bestandteil des Schulprogramms ist.
Von diesen Ideen waren im Schulkollegium nicht alle begeistert. Einige rollten genervt mit den Augen: Lass den neuen Schulleiter mal machen, klappt eh nicht. Trotz aller Skepsis spürte man irgendwann, dass Bewegung in die Verhältnisse kam. Und nach einer Pensionierungswelle verstärkten neue Lehrkräfte zusätzlich die Aufbruchstimmung.
Die Neuaufstellung war ein jahrelanger, komplexer Prozess, sagt Wagner. Dreh-und Angelpunkt des Wandels war die veränderte Haltung zu Menschen. „Du musst die Kinder und Jugendlichen annehmen und ihnen bedingungslose Wertschätzung entgegenbringen“, beschreibt der Schulleiter.
So wurde 2008 das Leitbild „Lachen – Leisten – Lernen“ eingeführt, das für Emotionalität, Intelligenz und erschließendes Verhalten steht und mit dem förderliches Verhalten, positive Leistungen und eine freundliche Ansprache an der Gebrüder-Grimm-Schule gestärkt wurden.
Doch wie funktioniert die Kultur der Wertschätzung konkret? Dazu gibt es eine Reihe von Tools und Ritualen. Da sind etwa die Motivationskärtchen, mit denen Komplimente verschenkt werden können. Da sind die Positiv-Botschaften an den Wandspiegeln, die den Betrachter in den Pausen aufbauen mit Botschaften wie: „Du bist toll!“ Es gibt das Klassenwetter, bei dem auf Magnetwänden gutes Verhalten der Schülerinnen und Schüler dokumentiert und gewürdigt wird. Und für besondere Leistungen werden Lobbriefe vorgelesen.
Dazu zählt auch das soziale Lernen etwa in den Pausen und der Umgang mit Regeln. Eingeführt wurden die sogenannten Pausengespräche, in denen die Kinder und Jugendlichen lernen, Streitigkeiten zu lösen, um anschließend unbelastet in den Unterricht zu gehen. „Dieses Streitschlichtungs-Format tragen manche Jugendliche auch in ihre Familien nach Hause“, weiß Wagner.
All diese Routinen sind äußere Zeichen der Haltungsänderung. „Wir wollen Vertrauen aufbauen, begeistern und Erfolgserlebnisse ermöglichen“, beschreibt Wagner. Besonders wichtig in einem sozialen Umfeld, in dem Erfolg und Selbstwirksamkeit nicht selbstverständlich sind. „Wenn du einmal erlebt hast, wie toll Erfolg ist, willst du das wieder erleben“, ist die Erfahrung des Pädagogen.
So schaffte es die Gebrüder-Grimm-Schule Schritt für Schritt, sich neu aufzustellen, übrigens ohne finanzielle Förderungsprogramme. Dann kam der Riesenerfolg: 2019 gewann die Schule die Hauptauszeichnung des Deutschen Schulpreises inklusive 100.000 Euro Preisgeld.
Wie groß war der Stolz über den Schulpreis? „Wir haben damit überhaupt nicht gerechnet.“ Umso größer war die Freude über die öffentliche Anerkennung. Auch darüber, dass diese Auszeichnung nach Hamm gegangen ist. In eine Stadt, die es nicht immer so einfach hat, wie der Schulleiter sagt.
Doch sich bequem auf den Lorbeeren auszuruhen, das passt nicht zur Macher-Mentalität des östlichen Ruhrgebiets. Die Gebrüder-Grimm-Schule bereitet sich mit Vollgas auf das 21. Jahrhundert vor, sagt Frank Wagner: „Wir sind noch immer in rasanter Schulentwicklung – auch nach dem Schulpreis!“
Weitere Infos, u. a. ein WDR-Interview mit dem Schulleiter, finden sich auf der Website unter: www.gebr-grimm.schulnetz.hamm.de und unter: www.deutscher-schulpreis.de
Autorin: René de Ridder, Redakteur (Universum Verlag)