Frau Prof. Dr. Döveling, warum sieht man so viele fitte Körper, wenn man sich etwa auf Instagram bewegt?
Man könnte sagen: In der zunehmend digitalen Welt, in der wir leben, gilt die Optimierung des Körpers als Hauptanforderung des neoliberalen Subjekts. Jüngere Generationen ab Anfang 20, aber auch schon Teenager bewegen sich vor allem auf Instagram, einer visuell orientierten Plattform mit einer Milliarde monatlicher Nutzerinnen und Nutzer weltweit. Dort rückt die ständige Inszenierung vermeintlich perfekter Körper immer stärker in den Vordergrund.
Dazu kommt: Im Zuge ständiger Vernetzung sind diese Bildwelten zu jeder Tages- und Nachtzeit mobil verfügbar, viele beginnen ihren Tag noch vor dem Aufstehen mit Social Media auf dem Smartphone. Der Einfluss der sozialen Medien auf die Wahrnehmung des eigenen und der anderen Körper ist sehr groß.
Sie erforschen, wie digitale Kommunikation bzw. Selbstdarstellungen des Körpers Selbstbewusstsein und Psyche beeinflussen. Wie sehen diese Untersuchungen konkret aus?
Mein Ansatz ist interdisziplinär und verbindet psychologische mit soziologischen Erkenntnisse und Perspektiven. Zunächst geht es einmal darum, zu verstehen, was überhaupt gezeigt wird. Es geht um die Bilderwelten. Diese werden mit Bildinhaltsanalysen untersucht, um zu erfassen, was auf Accounts von Fitness-Influencerinnen und Fitness-Influencern dargestellt wird. Im zweiten Schritt ist es wichtig zu erfassen, wie diese Bilder auf Menschen wirken – Wirkung und Rezeption also. Dies erfolgt in Befragungen. Insgesamt habe ich zehn Studien auf diesem Themenfeld betreut, drei laufen aktuell noch.
Was haben Sie herausgefunden?
Die Bildanalysen haben ergeben: Körperdarstellungen stehen bei den Fitness-Accounts immer im Vordergrund. Diese Körper sind immer perfekt inszeniert, während der Sport selbst gar nicht so wichtig ist. Und was die Wirkung der Bilder angeht, zeigt sich in den Befragungen hunderter Nutzerinnen und Nutzer: Das Selbstwertgefühl leidet extrem, wenn man sich permanent den perfekten Körperwelten aussetzt. Dieser Effekt verstärkt sich noch, je intensiver Social Media genutzt werden.
Viele der Befragten machten Diäten und fühlten sich unwohl. Ich erinnere mich an eine Befragte, die sich zu dick fand, aber einen völlig normalen Body-Mass-Index hatte. Eigentlich hatte fast jede an der Studie teilnehmende Person – und es waren vor allem junge Frauen – ein negatives Selbstbild. Das war erschreckend zu sehen. Zugleich ist vielen Befragten der große Einfluss der schönen Bilder völlig klar. Eine der Befragten brachte das so auf den Punkt: „Man will selbst genauso sein und hat ein schlechtes Gefühl, wenn man nicht so ausschaut.“
Sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen?
Hier zeigt sich ein Gender-Thema: Es geraten vor allem junge Frauen häufiger und stärker unter Druck. 95 Prozent der zufällig ausgewählten Befragten waren weiblich. Diese geschlechtsspezische Zusammensetzung kam dadurch zustande, dass die meisten Follower eben Frauen sind, es wurde also nicht gezielt nach Frauen gesucht. Im Vergleich zum männlichen Körper ist der weibliche Körper üblicherweise stärker Ziel normativer Vorgaben und Zuschreibungen. Das ist nichts Neues, das gab es auch schon in den 1960er-Jahren; Frauen wurden und werden oft zu Sexualobjekten stilisiert und auf das Äußere reduziert. Aber die Körpertrends der sozialen Netzwerke, die 24 Stunden täglich inklusive Feedback-Schleifen verfügbar sind, entfalten da eine noch stärkere Dynamik.
Sie sagen, die Befragten geraten unter Druck. Was verstehen Sie konkret darunter?
Wer immer wieder perfekte andere Körper sieht, wird das eigene Körperbild nicht als gleichwertig schön wahrnehmen. Leon Festinger hat in seiner Theorie des sozialen Vergleichs beschrieben, dass sich Menschen gern mit anderen Menschen vergleichen, um Informationen über sich selbst zu erhalten. Gerne vergleicht man sich dabei beim sogenannten Abwärtsvergleich auch mit Leuten, denen es schlechter geht oder die weniger gut herrschenden Körperidealen entsprechen, um das eigene Selbstwertgefühl zu steigern. Man vergleicht sich aber auch mit Personen, die vermeintlich schöner, besser etc. sind. Das kann ermutigen, und es kann anspornen. Es kann vor allem dann entmutigen, wenn diese Bilder unerreichbar sind. Da die Bilder in Social Media meist retuschiert sind, stellen sie ein Ideal dar, das so für die meisten gar nicht erreichbar sein kann.
Außerdem wäre hier die sogenannte Impression-Management-Theorie zu nennen. Sie geht davon aus, dass Menschen den Eindruck, den sie auf andere machen, ständig steuern und kontrollieren möchten. Man möchte mithalten, Eindruck hinterlassen. Das passt gut zu dem, was auf Social Media im Zusammenhang mit inszenierter Körperlichkeit geschieht.
Stichwort Body Shaming: Wie belastend sind kritische Kommentare zu veröffentlichten Körperfotos?
Neben der überkritischen Eigen-Perspektive können auch fremde Blicke auf den Körper viel Druck erzeugen. Wer Bilder von sich postet, die nicht geltenden Körperidealen entsprechen, macht sich unter Umständen selbst zum Ziel enormer Kritik. Leider senkt der schnelle Klick im Internet auch die Hemmschwelle für Beleidigungen.
Körperfotos auf Social-Media-Plattformen sind oft bearbeitet und gewissermaßen Artefakte. Warum sind sie trotzdem so wirksam?
Das ist ein interessanter Punkt. Obwohl die Nutzerinnen und Nutzer von Social Media wissen, dass die Bilder in den Netzwerken retuschiert sind, haben sie einen extremen Einfluss auf Psyche und Selbstwertgefühl. Im Rahmen meiner Studien haben wir einmal ein Experiment gemacht und jungen Probanden leicht retuschierte Bilder vorgelegt. Dabei hat sich gezeigt, dass veränderte Fotos teils gar nicht mehr als künstliche Bilder wahrgenommen werden. Vielmehr sind diese mittlerweile tief in den Sehgewohnheiten verankert. Die Grenze zwischen realen und künstlichen Bildern verschwimmt immer mehr, das menschliche Gehirn kann das offenbar immer schlechter trennen und unterscheiden.
Die Body-Positivity-Bewegung setzt sich für diversere Körperbilder ein. Wie schätzen sie das ein?
Ich sehe das ambivalent. Einerseits ist es gut, wenn unterschiedliche Körperideale besser akzeptiert werden. Aber mich stört, dass es wieder nur um den Körper geht. Dabei sind wir doch viel mehr als nur unser äußerer Körper! Beim Thema Body Positivity sehe ich zudem die Gefahr, dass die Botschaft lautet: Nimm deinen Körper so an, wie er ist – auch dann, wenn es ein ungesundes Körperbild ist. Da würde ich mir wünschen, dass die gesundheitlichen Aspekte von Körperformen stärker berücksichtigt werden.
Die Body-Positivity-Bewegung setzt sich für diversere Körperbilder ein. Wie schätzen sie das ein?
Ich sehe das ambivalent. Einerseits ist es gut, wenn unterschiedliche Körperideale besser akzeptiert werden. Aber mich stört, dass es wieder nur um den Körper geht. Dabei sind wir doch viel mehr als nur unser äußerer Körper! Beim Thema Body Positivity sehe ich zudem die Gefahr, dass die Botschaft lautet: Nimm deinen Körper so an, wie er ist – auch dann, wenn es ein ungesundes Körperbild ist. Da würde ich mir wünschen, dass die gesundheitlichen Aspekte von Körperformen stärker berücksichtigt werden.
Was kann getan werden, damit Kinder und Jugendliche mit den geschönten digitalen Bildwelten umgehen können?
Es wäre gut, wenn man mit Kindern und Jugendlichen über das Thema spricht, damit sie den verantwortungsvollen Umgang mit sozialen Medien lernen. Diese Form von Medienkompetenz wird immer wichtiger. Dabei sind Schulen ebenso wie Eltern gefragt. Beispielsweise in der Schweiz gibt es seit 2019 das Unterrichtfach „Medien und Informatik“, in dem auch die sozialen Netzwerke und ihr sozialer Umgang behandelt werden. Vielleicht lassen sich auch in deutschen Schulen entsprechende Formate und Fortbildungen für Lehrkräfte in den Schulalltag integrieren. Es ist dringend Zeit, dies zu tun!
Wenn die digitalen Bilder uns alle so dermaßen beeinflussen, kann digitaler Detox eine Lösung sein?
In der Pandemie haben viele sehr von digitaler Kommunikation profitiert. Auf der anderen Seite können soziale Medien auch stressen. Vielleicht ist gerade jetzt der Zeitpunkt gekommen um zu lernen: Wir müssen nicht immer erreichbar sein und uns in diesen virtuellen Welten aufhalten. Wir können unsere Rechner und Smartphones auch mal auslassen und dafür direkte Interaktionen pflegen oder in der Natur sein.
Wie akzeptiert man das eigene Körperbild besser?
Ich würde appellieren, dass wir uns auch mal mit anderen Dingen als nur mit der äußeren physischen Hülle beschäftigen. Es gibt vieles mehr, was unser Selbstwertgefühl ausmachen kann: Intellekt, Empathie, Fühlen und Mitdenken. Am Ende geht es um die Einsicht: Wir können gute Menschen sein auch ohne den „idealen“ Körper, was immer auch ideal heißen mag. Wir sind mehr als eine Hülle.
Schulleiterin Prof. Dr. Katrin Döveling ist Professorin für Medienwissenschaft/Medienkommunikation an der Hochschule Darmstadt. Die Emotionsforscherin untersucht Emotionen im digitalen Zeitalter, insbesondere Social Media und den Einfluss von Instagram auf Selbstwertgefühle und die Selbstwahrnehmung junger Erwachsener. Mehr: www.katrindoeveling.de
Autor: Das Interview führte René de Ridder, Redakteur (Universum Verlag)