Online herrscht häufig ein rauer Ton. Was zeichnet „Hate Speech“, also die Hassrede, aus?
Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit richten sich gegen die Betroffenen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer nationalen Herkunft, Religion, sexuellen Orientierung oder anderer Gruppenmerkmale. Es kann zwar jeden Einzelnen treffen, aber es geht nicht vorwiegend um persönliche Eigenschaften wie bei Cybermobbing. Hate Speech sind nicht nur Hasskommentare, sondern auch Bilder oder Videos. Das Spektrum reicht von abwertenden Bezeichnungen wie „Neger“ bis zur Androhung oder Befürwortung von Gewalt.
Wie verhält man sich in aufgeheizten Online-Diskussionen?
Zunächst kommt es darauf an, sich nicht selbst zur Zielscheibe zu machen. Das bedeutet auch, die Hassenden nicht von vornherein anzufeinden, sondern eine sachliche und respektvolle Sprache zu verwenden. Wir empfehlen unseren „Active Speech“-Ansatz, also offene Fragen zu stellen, die Aussagen des Gegenübers zu überprüfen und andere mit in die Diskussion zu holen. Seine eigene Haltung zu zeigen und diese zu begründen ist wichtig. Letztlich geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Hat man es aber mit einem extremen Troll oder einem Glaubenskrieger zu tun, sollte man sich genau überlegen, ob man überhaupt in eine solche hassgeprägte Situation hineingeht oder die Diskussion frühzeitig verlässt.
Troll, Glaubenskrieger, was bedeutet das?
Trolle wollen Aufmerksamkeit und provozieren, indem sie etwas Derbes in die Diskussion werfen. Extreme Trolle wollen mit Hass und Hetze gezielt Konflikte anheizen, indem sie etwa Bedrohungen vortäuschen und mit Bildern und Videos schocken. Daneben gibt es noch die Gruppe der Glaubenskrieger. Ihnen geht es um ihre eigene „Wahrheit“, sie führen eine Art Krieg für ihre Sache und kämpfen gegen den vermeintlich verblendeten Rest. Mit denen ist keine Diskussion möglich. Ihr Ziel ist es zu gewinnen – dafür setzen sie alle Mittel ein, die sie haben. Sie recherchieren einem auch hinterher. Um sich zu schützen, sollte man auf die Privatsphäre-Einstellungen achten und gut überlegen, welche Infos man von sich preisgibt.
Hasskommentatoren berufen sich oft auf die Meinungsfreiheit.
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Der zweite Absatz von Artikel 5 des Grundgesetzes zeigt aber auch deren Grenzen auf: „Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ Beleidigung, üble Nachrede und Volksverhetzung wie auch das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole sind auch im Internet strafbar. Anzeigen kann man das bei den Online-Meldestellen der Landeskriminalämter.
Außerdem kann man es den Plattformbetreibern melden. Sie sind gesetzlich verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen und zu sperren – Stichwort Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Geschieht das nicht, kann man die Inhalte auch an „Jugendschutz.net“ melden, das gemeinsame Kompetenzzentrum von Bund und Ländern zum Schutz von Kindern und Jugendlichen im Internet.
Wozu raten Sie, wenn Schülerinnen oder Schüler von Hate Speech betroffen sind?
Viele schämen sich dafür, dass sie zur Zielscheibe wurden. Oft erleben sie, dass andere diese Erfahrung als nicht so schlimm abtun. Dementsprechend sollte man als Lehrkraft ein offenes Ohr haben und gemeinsam überlegen, welche Optionen es gibt. Zum Beispiel, sich an die Beratungsstellen wie „Juuuport“ oder „Hate Aid“ zu wenden oder von einer der Meldestellen prüfen zu lassen, ob eine Anzeige in Frage kommt. Geschieht Hate Speech im schulischen Kontext, sollten auch Schulsozialarbeit oder Vertrauenspersonen eingebunden werden.
Wichtig ist, sich Hilfe von außen zu holen und mit Experten der Polizei und Präventionsprojekten zusammenzuarbeiten, um dann Angebote, maßgeschneidert für diese Klasse und Altersgruppe, zu machen. Das wird immer noch viel zu wenig getan. Ziel ist, einen sachlichen Diskussions- und Auseinandersetzungsprozess in Gang zu setzen und einzuüben.
Es posten aber auch Schülerinnen und Schüler Kommentare, Bilder oder Videos voller Hass, Hetze und Gewalt. Was dann?
Wir waren in Klassen unterwegs, wo es antisemitisches, rassistisches und auch extremistisches Verhalten gab. Anfangs war es nicht leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Es funktioniert aber, wenn man offen und engagiert krasse Geschehnisse thematisiert, ohne die Jugendlichen anzuprangern oder vorzuverurteilen. Unserer Erfahrung nach haben Jugendliche unter 20 Jahren noch keine feste Ideologie. In ihrer Argumentation gibt es viele Lücken, wo man Ansätze zur Diskussion findet.
Entscheidend ist, dass Gewaltthemen wie Hate Speech, Fake News und Cybermobbing Teil des Unterrichts werden müssen. Es ist auch gar nicht so schwer, Antisemitismus, Migration, Sexismus oder Geschlechtsidentität im Fach Deutsch, Geschichte, Biologie und Religion einzubringen. Die Unwissenheit der Jugendlichen bei diesen Themen ist sehr stark ausgeprägt.
Interview: Mirjam Ulrich, Journalistin in Wiesbaden