Foto: Dominik Buschardt

„Datensparsamkeit ist das A und O“

  • Datenschutz: Für den App-Einsatz sind Einverständniserklärungen wichtig
  • Länderspezifische White- oder Blacklists für digitale Anwendungen in Planung
  • Praxistipps, wie der Datenschutz von Apps eingeschätzt werden kann

 

 

Wie hat die Coronapandemie Ihre Arbeit beim Projekt „Digitale Bildung trifft Schule“, kurz DigiBitS, verändert?

 

Katharina Nagler: Wir haben die Vernetzungstreffen unserer Partnerschulen auf Online-Meetings umgestellt, ebenso wie die Fortbildungen für Lehrkräfte. Mit der Pandemie ist digitale Bildung insgesamt viel stärker in den Fokus gerückt, das Interesse ist bei Lehrkräften gestiegen. Dabei registrieren wir viele Unsicherheiten und großen Unterstützungsbedarf rund um den Datenschutz.

 

Welche Regeln für den Datenschutz sind bei digitalen Unterrichtsformen zu beachten?

 

Udo Lihs: Grundsätzlich gilt: Um eine App einzusetzen, die personenbezogene Daten erhebt und verarbeitet, ist die Einwilligung der Schülerinnen und Schüler bzw. der Erziehungsberechtigten nötig. Alle Beteiligten informiert man mit einer Datenschutzerklärung inklusive der Aufzählung ihrer Datenschutzrechte. Dazu zählt auch das Recht, diese Einwilligung zu verweigern. Außerdem könnten Betroffene im Zuge der informationellen Selbstbestimmung jederzeit nachfragen, welche Daten wann wie gespeichert wurden. Da kann ein riesiger Aufwand entstehen.

 

Wie können Lehrkräfte denn den Datenschutz einer App beurteilen?

 

Udo Lihs: Man sollte sich umfassend über eine Anwendung informieren und die Datenschutzerklärung des Anbieters lesen. Zentrale Fragen sind: Wer ist der Anbieter und in welchem Land sitzt er? Welche Daten werden erhoben, wo und wie werden sie gespeichert und verarbeitet? Lässt sich feststellen, dass erhobene Daten nur in Deutschland oder Europa gespeichert werden? Gibt es eine Verschlüsselung? Wird ein Passwortschutz angeboten? Die Datensparsamkeit ist das A und O. Digitale Anwendungen sollten möglichst wenige, nur plausible Daten abfragen, die für den Zweck der jeweiligen Anwendung notwendig sind. In unseren DigiBitS-Tooltipps empfehlen wir vorrangig datensparsame Anwendungen und Webseiten. DigiBitS hat auch eine Checkliste veröffentlicht, zur Prüfung von Apps hinsichtlich ihrer Datenschutzkonformität.

 

Den Datenschutz von Apps zu prüfen ist aufwendig. Wäre das nicht Aufgabe der Kultusverwaltungen?

 

Udo Lihs: Deswegen planen Kultusministerien oder Datenschutzbehörden, Whitelists zu erstellen, die Apps und Webseiten empfehlen. Eine andere Option sind Blacklists. Auf ihnen werden Anwendungen gelistet, die wegen datenschutzrechtlicher Bedenken nicht benutzt werden sollen.

 

Wenn aber für jede App das Einverständnis eingeholt werden muss, was bringen solche Listen?

 

Udo Lihs: Whitelists haben einen großen Vorteil: Durch sie sparen sich Lehrkräfte und Schulleitungen die Recherche nach sicheren Apps und die Prüfung der Apps hinsichtlich der Datenschutzkonformität. In der Einverständniserklärung lässt sich damit auch argumentieren, dass eine App vom Kultusministerium bzw. von der Landesdatenschutzbehörde geprüft wurde. Auch Blacklists, die risikoreiche Apps enthalten, bieten eine Orientierung: Die genannten Apps können bei allen Überlegungen außen vor bleiben, weil das Risiko zu hoch ist. Das Kultusministerium übernimmt also die Risikoabwägung für Lehrkräfte und Schulleitungen.

Was wäre ein absolutes No-Go beim Datenschutz in Schulen?

 

Udo Lihs: Die Nutzung einer App ohne Zustimmung. Auf einer Schulfeier ist es etwa auch nicht erlaubt, jemanden ungefragt zu fotografieren und das Bild dann irgendwo hochzuladen. Das Gleiche gilt für die Nutzung von Apps, die personenbezogene Daten abfragen und speichern. Ein anderes No-Go wäre eine Anwendung, die ständig überwacht – wie etwa die KI-Technologie Alexa, die Geräusche aufnimmt und sämtliche Sprachdaten dauerhaft nutzt. Oder die Erhebung von Standortdaten: Es wäre besser, wenn man das ausschalten kann.

 

Kann man sich eine Art Generaleinwilligung einholen, oder sind zweckgebundene Einverständniserklärungen notwendig?

 

Udo Lihs: Ich kenne eine Schule, die eine generelle Zustimmung von den Erziehungsberechtigten zu allen Apps einfordert. Aus datenschutzrechtlicher Sicht ist das sehr schwierig, weil unklar ist, welche Anwendungen zu welchen Zwecken wann genutzt werden sollen. Da kann man als Elternteil nachhaken und fragen: Welche Apps wurden in welchen Stunden genutzt, welche Daten wann gespeichert? Daher sollten Einverständniserklärungen zweckbezogen und konkret formuliert werden. Ein Beispiel: Wir wollen am Tag X die Plant App im Biologieunterricht nutzen.

 

Sprechen wir über sichere Tools. Welche empfehlen Sie?

 

Katharina Nagler: Ein empfehlenswertes Tool zum kollaborativen Schreiben und Editieren ist ZUMPad aus Deutschland. Aufwendigere Funktionen wie Tabellenkalkulationen bietet Cryptpad, das verschlüsselt ist und aus Frankreich stammt. Ein Tool für die Grundschule bzw. bis Klasse 10 ist die Lernapp Anton, jedoch benötigt man zur Anmeldung eine Mailadresse. Zu empfehlen ist auch die Website Learning-Apps.org mit vielen kleineren Tools, die für diverse Fächer und Methoden ganz ohne Anmeldung genutzt werden können. Diese und mehr Empfehlungen gibt es in unseren Tooltipps, in denen wir auch fächerbezogene Apps zusammengestellt haben. Diese können kostenfrei und ohne Anmeldung auf der Webseite digibits.de heruntergeladen werden.

 

Gibt es auch digitale Anwendungen für inklusiven Unterricht?

 

Udo Lihs: Ja, in unseren Tooltipps bieten wir einen App-Check für inklusiven Unterricht. Darin erklären wir die besonderen Anforderungen hinsichtlich Gestaltung, Bedienung, insgesamt an Barrierefreiheit. Wir empfehlen auch konkrete Apps als Best Practice.

 

Das Interesse am kollaborativen Arbeiten ist gerade riesig. Haben Sie Tipps für gutes, datenschutzkonformes Arbeiten?

 

Katharina Nagler: Im Vorfeld sollten Regeln für eine faire und transparente Kommunikation vereinbart werden. Meist ist auch eine umfassende Einführung des entsprechenden Tools notwendig. Und ab und zu kann der pädagogische Anspruch mit dem Datenschutz kollidieren, etwa bei der Frage: Mit Klarnamen oder Pseudonymen arbeiten? Pseudonyme sind besser für den Datenschutz. Doch anonym bringen sich vielleicht nicht alle gleichermaßen ein oder kommentieren die Arbeiten anderer ungünstig.
Da sollte man an die Verantwortung appellieren beziehungsweise im Vorfeld Pseudonyme vereinbaren, die die Lehrkraft auf die jeweiligen Schülerinnen und Schüler zurückführen kann.

 

Udo Lihs: Eine Ergänzung zum Datenschutz: Wenn man eine datensparsame App ausgewählt hat, dann aber jemand Adresse und Telefonnummer ins Tool schreibt, ist in Sachen Datensparsamkeit nicht viel gewonnen. Daher ist eine Regel, keine personenbezogenen Daten anzugeben, z. B. keine Namen zu veröffentlichen, vor allem nicht, wenn es um kollaborative Arbeitsergebnisse geht.

 

Zur kollaborativen Projektarbeit bieten wir in unseren Tooltipps weiterführende Informationen. Wir empfehlen unter anderem das Tool MeisterTask, mit dem sich sehr übersichtlich Aufgaben verteilen und Termine festlegen lassen.

Wie sieht es mit der Speicherung von kollaborativen Arbeitsergebnissen aus?

 

Udo Lihs: Diese müssen nicht zwangsläufig im Tool selbst gespeichert werden, sondern können auch woanders als Worddatei abgelegt werden. Beim Speicherort sollte man überlegen, ob man wirklich den erstbesten Cloud Anbieter aus den USA auswählt oder vielleicht die datenschutztechnisch wesentlich bessere Nextcloud. Noch besser wäre es, wenn man die Arbeitsergebnisse auf einer vom Kultusministerium freigegebenen Lernplattform speichern könnte.

 

In Zeiten der Kontaktvermeidung sind Videokonferenzen beliebt. Was ist zu beachten?

 

Udo Lihs: Bei der Auswahl einer Konferenzsoftware gelten ähnliche Fragen wie bei den Apps: Welche Daten werden von welchem Anbieter abgefragt, wo und wann werden sie abgespeichert? Nimmt man diese Punkte ernst, bleiben nicht mehr viele Systeme übrig. Ein weiterer Aspekt: Manche Plattformen speichern Konferenzen automatisch 14 Tage lang auf dem Server, aus Datenschutzsicht ein No-Go. Hier sollte man prüfen, was sich in den Einstellungen ändern lässt.

 

Und um einen störungsfreien Ablauf der Konferenz möglichst sicherzustellen, sind Konferenzsysteme gut, bei denen sich Rechte vergeben lassen wie „Konferenz beenden“ oder „jemanden auf stumm schalten“. Hier ist auch wieder der Passwortschutz ein Thema, sodass Unbefugten der Zugang zur Konferenz erschwert wird.

 

Welche Videokonferenztools empfehlen Sie konkret?

 

Udo Lihs: Zu Beginn der Pandemie haben wir oft Jitsi empfohlen. Die Vorteile: Es ist eine Open-Source-Software, verschlüsselt und relativ datensparsam. Mittlerweile stellen wir aber fest, dass Jitsi nicht immer sehr stabil läuft. Viele Lehrkräfte nutzen das Webkonferenzsystem BigBlueButton, da es in einigen Lernplattformen integriert ist. Leider haben wir erfahren, dass ausgerechnet dieses Tool Konferenzen 14 Tage lang speichert. Ehrlich gesagt: Aus Datenschutzsicht kann ich leider nicht das eine optimale Tool empfehlen – das Thema ist derzeit eine Baustelle.

 

Kontaktarme Formate werden im Schulalltag und in der Elternkommunikation wichtig bleiben. Gibt es dazu noch weitere Ideen?

 

Udo Lihs: Muss es denn wirklich immer eine Videokonferenz sein, oder geht auch eine Audiokonferenz? Es gibt auch Sprachkonferenzsysteme wie Mumble oder TeamSpeak. Oder man entscheidet sich für eine klassische Telefonkonferenz. Video-Meetings sind noch unter einem anderen Aspekt kritisch. Wenn zu Hause alle ihre Webcam aktivieren, entstehen Einblicke in Kinderzimmer und Hintergründe, die vielleicht nicht jeder sehen soll. Und es sind schnell weitere Personen in ihren Persönlichkeitsrechten betroffen, die im Hintergrund auftauchen können.

 

Wenn ich mit Eltern ein Videomeeting machen möchte, muss ich vorher deren Einwilligung einholen?

 

Udo Lihs: Ja, und man muss auch eine Datenschutzerklärung ausgeben, damit die Eltern die Möglichkeit haben nachzufragen, welche personenbezogenen Daten wie und wo gespeichert werden. Übrigens lässt sich ein Einverständnis auch mündlich einholen, nur sieht es dann mit dem Beweis schwierig aus.

 

Ich habe den Eindruck: Datenschutz im Schulalltag umzusetzen ist ziemlich herausfordernd.

 

Katharina Nagler: Ab und zu hören wir bei Fortbildungen: Das ist alles so kompliziert, da arbeiten wir lieber gar nicht digital. Wir wünschen uns, dass Lehrkräften die Lust nicht daran vergeht. Und empfehlen, dass man sich in den Kollegien verstärkt zu Datenschutzfragen austauscht. Denn allein kann es fast niemand schaffen. Und wir empfehlen: Bevor man ein Tool einsetzen möchte, müssen Schulen beim jeweiligen Kultusministerium und Datenschutzbeauftragten prüfen, welche Regelungen es zu einer App gibt.

 

Udo Lihs: Übrigens ist ein Datenschutzverstoß kein Verbrechen. In der Regel erfolgt nicht sofort nach Bekanntwerden eine Sanktion, sondern die Aufforderung, das Datenschutzproblem zu beheben. Das heißt: Man muss auch mal Dinge ausprobieren.

 

 

Interviewpartnerin und -partner

 

Katharina Nagler ist Projektreferentin bei „Digitale Bildung trifft Schule“ (DigiBitS). Udo Lihs ist Bildungsreferent bei DigiBitS. Frau Nagler und Herr Lihs sind bundesweit für Lehrerfortbildungen zuständig.

 

Tools & Apps

  • MeisterTask: Tool für die Projektarbeit, einfach und übersichtlich
  • ZUMpad: Etherpad zum gemeinsamen Erstellen von Texten
  • CryptPad: Etherpad, Tabellenkalkulationen, Bilder und Tabellen einfügen möglich
  • Anton: Lernapp für Deutsch, Mathe und weitere Fächer
  • LearningApps.org: Webseite mit vielen fächerspezifischen und methodischen Tools
  • Mumble: Audio-Konferenz-Tool
  • TeamSpeak: Audio-Konferenz-Tool

 

Zum Projekt

  • „Digitale Bildung trifft Schule“ (DigiBitS) unterstützt Lehrkräfte bei der Förderung von Medienkompetenzen im Fachunterricht mit Unterrichtsmaterialien, die Fachinhalte aus dem Lehrplan mit der Förderung digitaler Kompetenzen verknüpfen. Zudem bietet die Initiative Vernetzungstreffen und Online-Fortbildungen für Partnerschulen an
  • Getragen wird DigiBitS vom gemeinnützigen Verein „Deutschland sicher im Netz“, der unter Schirmherrschaft des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat steht. Der Verein setzt sich zusammen aus Verbänden, Unternehmen und Organisationen der digitalen Wirtschaft und Gesellschaft.
  • Weitere Infos unter www.digibits.de und www.sicher-im-netz.de. Die Tooltipps bei DigiBitS enthalten viele Empfehlungen zu Tools, Apps und Plattformen. Unter anderem gibt es fächerbezogene App-Empfehlungen sowie den App-Check für inklusiven Unterricht.

 

 

Das Interview führte René de Ridder, Redakteur (Universum Verlag)

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