Zwei Schülerinnen tragen einen Mundschutz, den sie selbst für die Klasse entworfen haben.

Foto: Markus Brügge

„Bei weitem keine Normalität“

  • Wie zwei Schulen ihren Alltag mit Corona organisieren
  • Bedarf nach Gesprächen und Spiel mit anderen Kindern
  • Am Gymnasium Schub für die digitale Schulentwicklung 

 

Am Schulhoftor hängen Zeichnungen voller Sehnsucht. „Ich vermisse meine Freunde“, hat ein Schüler mit Buntstift geschrieben. Ein anderes Bild zeigt einen Strand mit Palmen, dazu der Schriftzug: „Corona, geh weg, dass wir ans Meer fahren können.“ Und ein Aquarellbild appelliert: „Bleibt zu Hause!“

 

Als die Albert-Schweitzer-Schule in Langen (Hessen) ihre Pforten nach dem Lockdown wieder für die Viertklässler öffnete, kreisten die Gedanken der Schülerinnen und Schüler vor allem um ein Thema: Corona und wie die Pandemie den Alltag verändert hat. Allerdings war die Betroffenheit bei den Kindern individuell unterschiedlich. „Der eine wirkt ganz lässig, andere sind voller Sorge, weil sie zum Beispiel Risikopatienten in der Familie haben“, berichtet Schulleiterin Barbara Busch.

 

Um die Situation zu verarbeiten, wurden in den Klassen viele Gespräche geführt. Dazu zählte, dass sich die Kinder Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen von der Seele malten und schrieben und die Plakate am Schulhofzaun befestigten.

 

Trotz kreativer Malaktionen ist an der Grundschule bisher noch kein regulärer Alltag in Sicht. Auch Wochen nach der Teil-Öffnung herrscht eine Art Ausnahme- zustand. „Alles ist anders, wir haben noch bei weitem keine Normalität“, erzählt die Schulleiterin. Angesichts von COVID-19 müssen sie und das Kollegium viele neue Routinen für den Schulbetrieb organisieren und laufend im Praxisbetrieb optimieren. „Wir müssen zu viel und zu schnell entscheiden, können aber nicht die üblichen Konferenzen und Besprechungen mit dem Leitungsteam machen“, beschreibt sie die herausfordernde Lage.

 

Zum Beispiel die Handhygiene. Zu Beginn dauerte es einfach viel zu lange, bis sich die Kinder vor und nach den Pausen die Hände gewaschen hatten. Die Schule besorgte weitere Seifenspender. Mittlerweile, findet die Schulleiterin, läuft es mit der Handhygiene „optimal“. Auch weil die Kinder sehr diszipliniert mitmachen und sie die Abläufe verinnerlicht haben. Hilfreich ist, dass die Schule nach dem Prinzip der Jahrgangshäuser organisiert ist und viele Einzelgebäude und Toilettenräume vorhanden sind.

 

Außerdem wurden die Unterrichtsräume neu strukturiert, um die Abstandsregeln zu gewährleisten. Sprich: Hausmeister und Lehrkräfte entfernten überzählige Tische und Stühle und ordneten die Möbel neu mit Sicherheitsabstand an.

 

Und es mussten Lösungen für das Lernen zu Hause gefunden werden. Für alle, die nicht am Präsenzunterricht teilnehmen, schnüren die Lehrkräfte Lernpakete, die alle zwei Wochen ausgegeben werden. Dann kommen, gestaffelt im 15-Minuten-Abstand, die einzelnen Klassen in ein Gebäude und holen die Pakete ab. Auf diese Weise begegnen sich nur wenige Kinder auf dem Schulhof. Falls niemand zum Abholtag kommen kann, werden die Lernpakete in einem Verwaltungsgebäude am Eingang gelagert und können dort an einem anderen Tag mitgenommen werden.

Warum werden die Aufgaben eigentlich nicht einfach digital übermittelt? Das war eine bewusste Entscheidung. Kein Kind soll wegen fehlender technischer Ausrüstung im Elternhaus benachteiligt werden. „Aus unserer Sicht ist das Lernpaket die niedrigschwelligste Möglichkeit, alle ins Boot zu bekommen, weil in einigen Familien kein Drucker oder WLAN vorhanden ist“, erklärt Schulleiterin Busch.

 

Auch die Konzeption der Lernpakete war ein Lernprozess. Nach einer Elternbefragung setzt das Kollegium nun auf weniger Freiwilligkeit, detaillierteres Feedback von Lehrkräften und mehr eigenständig zu lösende Aufgaben. Und es geht mittlerweile mehr darum, Sozialkompetenzen und Bewegung zu fördern. Beispiele: Schreibe an deine Oma. Überlege, wie du anderen helfen kannst. Oder: Nimm an der Challenge teil – wie oft schaffst du es heute, mit dem Seil zu springen?

 

Doch nicht alle Kinder können gleichermaßen gut auf eigene Faust lernen. Daher kümmert man sich in der Albert-Schweitzer-Schule besonders um die, die wenig oder keine Unterstützung beim häuslichen Lernen haben. Zur Notbetreuung kommen 45 Kinder.

 

Dazu zählen auch Kinder, deren Familien vom Jugendamt betreut werden. Mit den Familienbegleitern steht das Kollegium in Kontakt, zusätzlich ist eine Schulsozialarbeiterin da. „Es ist schön, die Kinder jetzt hier so fröhlich spielen zu sehen“, sagt Busch und blickt auf das weitläufige, fast menschenleere Außengelände der Schule.

 

Der Schulleiterin ist es ganz besonders in diesen Zeiten wichtig, einen guten Draht zur Schulgemeinde zu pflegen. Denn unter Eltern ist das Informationsbedürfnis riesengroß. „Jeder Elternbrief ist hochsensibel. Jedes Wort muss gut überlegt und die Zielbotschaft klar sein“, beschreibt sie die erhöhten Anforderungen für Elternkommunikation.

 

Zudem steht das kommende Schuljahr vor der Tür. Viele Fragen sind ungeklärt: Wie läuft es mit der Einteilung der Erstklässler unter Corona- Bedingungen? Gibt es einen Einschulungsgottes- dienst? Alle zwei bis drei Wochen bespricht sich die Schulleiterin mit den Schulelternbeiräten. Jeder Elternbrief wird abgestimmt. „Ich möchte die Elternfragen gerne, so gut es geht, beantworten, dafür ist die Abstimmung mit den Elternbeiräten enorm hilfreich und wichtig.“

 

Auch von anderer Seite gibt es Unterstützung. Eine Lehrerin, die Risikopatientin ist und gerade nicht vor Ort unterrichten kann, hat kurzerhand einige Masken für die Kollegenschaft der Grundschule genäht. Eine muslimische Frauengemeinde produzierte gegen eine kleine Spende 40 Schutzmasken in Handarbeit.

 

Außerdem dürfte es für Lehrkräfte zu den positiven Erfahrungen zählen, wie enorm wichtig die Schule als Lebensort für viele Kinder ist. Am Zaun hängt ein Plakat mit dem Satz: „Wir freuen uns, wenn die Schule wieder aufhat.“

 

Szenenwechsel, Hamburg an einem Montag: Sven Sobisch beantwortet am Rechner ein- gehende Mails. Soeben hat der Lehrer am Gymnasium Corveystraße in Hamburg Lokstedt (Bezirk Eimsbüttel) die wöchentlichen Arbeitsmaterialien auf der schuleigenen Online-Plattform bereitgestellt. Jetzt senden Schülerinnen und Schüler Nachfragen. „Herr Sobisch, ich kann das Dokument nicht öffnen.“ Oder Nachfragen, wie es sie im Präsenzunterricht auch gibt: „Ich verstehe die Aufgabe nicht, was soll ich tun?“

Lediglich ein Teil der Kinder und Jugendlichen kommt einen Tag pro Woche in die Corveystraße, wo in verkleinerten Klassen unterrichtet wird. Für den Rest ist Homeschooling angesagt. Und das läuft aus Sicht des Studienrats für Geografie, Politik und Geschichte ziemlich gut. Anteil daran hat auch Iserv, die vom Gymnasium genutzte Kommunikationsplattform. Sie bietet Funktionen wie E-Mail, Dateiablage, Diskussionsforen und internes WLAN für die Internetrecherche.

 

„Das ist in Corona-Zeiten ein toller Vorteil“, sagt Sobisch, der PGW (Politik/Gesellschaft/Wirtschaft), Geografie, Geschichte und Theater unterrichtet. Von diesen Möglichkeiten profitieren die Kinder und Jugendlichen zudem in sozialer Hinsicht. So finden die wöchentlichen Klassenratsstunden in digitaler Form statt.

 

Auch Sobischs Theaterklasse 5b bespricht sich per Video, ob und wie es weitergeht mit den Proben. „Die Schüler waren froh, sich endlich mal wieder zu sehen“, sagt der Lehrer. Und natürlich wurde lang und breit über die Frage gesprochen: Wie geht es euch? Und wie kommt ihr eigentlich mit dieser Pandemie klar?“

 

Dass digitale Kommunikationsformate hier so gut funktionieren, liegt ein Stück weit sicherlich auch am Einzugsgebiet der Lokstedter Schule. Die allermeisten Kinder und Jugendlichen dürften technisch zu Hause einigermaßen ausgestattet sein. Oder wie der Studienrat sagt: „Wir sind kein sozialer Brennpunkt.

 

Corona als Schrittmacher in Sachen Digitalisierung – das ist jedenfalls am Gymnasium Corveystraße ein positiver Effekt. „Weil der Unterricht wegen der Coronabeschränkungen verstärkt über Iserv laufen musste, haben die Kinder in kurzer Zeit sehr viel gelernt“, sagt Sobisch. Das gelte auch für seinen eigenen Unterricht: „Ich habe die Online-Plattform erst während des Lockdowns so richtig genutzt.“

 

Ebenso das Kollegium hat gute Erfahrungen mit einer digitalen Lehrerkonferenz gemacht. 70 Lehrkräfte waren per Video-Konferenz miteinander verbunden, die Moderatoren und jeweiligen Sprecher immer im Bild. Bei dem virtuellen Meeting wurde über eine wichtige Personalentscheidung abgestimmt. „Das hat gut geklappt.“

 

Und dann war da noch die Übergabe des Abiturzeugnisses in diesem Jahr. In der großen Aula saßen 68 Abiturienten auf Stühlen in einem Abstand von 1,50 Metern. Sie lauschten der Rede von Schulleiter Christian Krümel, ab und zu spielte eine Big Band hinter einer Glasscheibe. Die Familien durften aus Infektionsschutzgründen leider nicht in der Aula sein.

 

Dabei waren die stolzen Eltern und Angehörigen trotzdem: Per Video-Livestream verfolgten sie den tosenden Applaus der Zeremonie in den Klassenzimmern.

Video

 

Wie sich die neuen Regeln und Abläufe nach der Schulöffnung mit einem professionellen Video vermitteln lassen, zeigt Marianne Kral, Schulleiterin der Adolf-Reichwein-Schule Langen: youtu.be/WkyItx_l3qI

 

Hinweis

 

Mit den beteiligten Schulen haben wir zwischen Mai und Juli 2020 gesprochen.

 

Materialien

 

Unterrichten während der Corona-Krise bedeutet für Lehrkräfte eine Herausforderung. Das Schulportal DGUV Lernen und Gesundheit unterstützt Lehrkräfte mit Unterrichtsmaterialien rund um die Corona-Pandemie: dguv-lug.de/aktuelles/corona/

 

Die Schulen

 

Weitere Infos zur Grundschule schule unter www.albert-schweitzer-schule-langen.de. Die Webseite der Hamburger Schule: gymnasium-corveystrasse.de

 


René de Ridder, Redakteur (Universum Verlag)

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