Psychische Erkrankungen sind noch immer ein Tabuthema. Aber Aufklärung und Unterstützung sind gerade in der Schulzeit wichtig. Dort setzt das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und!“ an. Ein Besuch in Mainz.
Insa Schmitter ist 27. Etwa 1,60 Meter groß, braune Locken, sportlich-schlank. Eine junge, zierliche Frau mit einem offenen Lächeln und Plänen für die Zukunft. Sie will Medizin studieren, anderen Menschen helfen. Was man ihr nicht ansieht: die Vergangenheit. Mit zwölf wurde sie vergewaltigt. Erlitt ein Trauma. Sie gab ihre Hobbys auf, begann, sich selbst zu verletzen, zu hungern und zog sich völlig zurück. Stundenlang saß sie alleine in ihrem Zimmer, starrte reglos gegen die Wand und ließ keinen Kontakt mehr zu.
Ihre Schulzeit wurde zur Qual. Die Noten immer schlechter. Während andere lernten oder Zeit mit Freunden verbrachten, versuchte sie Herrin über ihre Ängste, Erinnerungen und Schmerzen zu werden. Niemand verstand, was in ihr vorging und sie bemühte sich, ihr Leiden bestmöglich zu verbergen. Viele Jahre lang funktionierte sie, versuchte, ihre Fassade aufrechtzuerhalten und ihrem Umfeld vorzugaukeln, es sei alles in Ordnung. Aber irgendwann wurde die Angst vor dem Zusammenbruch zu groß und sie beschloss, sich Hilfe zu suchen. Da war sie bereits 18. Die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.
Eigentlich ist die Geschichte der jungen Frau ein klassisches Beispiel für den langen Leidensweg vieler Betroffener. „Oft dauert es mehrere Jahre, ehe sich psychisch erkrankte Menschen Hilfe suchen“, erklärt Christopher Haas, Leiter von „unplugged - Das Beratungscafé“ in Mainz. Das macht die Schulzeit für einige Jugendliche schwer. Denn viele psychische Erkrankungen entstehen im Kindes- und Jugendalter und fallen somit oft in diesen Lebensabschnitt. „Und die Schule als Lebensort wird immer wichtiger. Durch Ganztagsmodelle verbringen Jugendliche immer mehr Zeit dort“, sagt der Sozialpädagoge.
Das bundesweite Präventionsprogramm „Verrückt? Na und!“ vom Verein Irrsinnig Menschlich setzt deshalb genau dort an. „Es ist wichtig, psychische Erkrankungen in der Schule schon früh zu thematisieren und Aufklärungsarbeit zu leisten“, erklärt Christopher Haas. Mit seinem Team führt er das Programm als Regionalgruppe in Mainz durch. Die Projektziele: seelische Krisen besprechbar machen, Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte sensibilisieren, Vorurteile abbauen und zeigen, dass es Hilfe und Unterstützung gibt.
Von einem solchen Programm hätte auch die 27-Jährige damals vielleicht profitieren können. „Aus Angst und Unwissenheit habe ich mir erst so spät Hilfe geholt“, erklärt sie. Mittlerweile ist Insa Schmitter Teil des Teams, das den „Verrückt? Na und!“-Schultag mit Klassen durchführt. Gemeinsam mit Christopher Haas oder einem anderen Experten von „unplugged – Das Beratungscafé“ verbringt sie während eines Projekttags fünf bis sechs Stunden mit einer Schulklasse. Erklärt Grundlagen, klärt auf und stellt sich den Fragen der Schülerinnen und Schüler. Was ist normal? Was ist gesund? Was ist überhaupt die Psyche und wo sitzt sie? Fragen, die kaum zu beantworten sind. Deshalb werden viele Übungen gemacht.
Beispiel: Stress und Belastungen. „Was belastet euch?“, fragen die Experten. Der Tod der Großmutter. Die Klassenarbeit in Mathe. Der Streit mit der besten Freundin. Für jeden genannten Punkt wird ein Stress-Säckchen auf eine Schulter gelegt. „Irgendwann merkt man, dass alle Kleinigkeiten zusammen ganz schön schwer sind“, sagt Christopher Haas. So sorgt der Schultag für einige Aha-Momente. Besonders eindringlich wird es, wenn Insa Schmitter am Ende ihre ganz persönliche Geschichte erzählt. Und damit umso klarer wird, dass es jeden treffen kann.
Ihr ist dabei besonders wichtig, aufzuklären. Wo man Hilfe bekommt zum Beispiel. Aber auch zu sensibilisieren, Schülerschaft und Lehrkräfte. „Wertschätzung, aufrichtiges Interesse und Ehrlichkeit sind das Wichtigste. Auch zuzugeben, wenn man nicht weiß, wie man mit Betroffenen umgehen soll“, sagt sie. Wesentlich sei vor allem, Unsicherheit zu überwinden und offen über das Thema zu sprechen. Lehrkräfte sollten das Thema in den Unterricht einbinden und mit gutem Beispiel vorangehen. Insa Schmitter haben die Arbeit im Präventionsprogramm und der öffentliche Umgang mit ihren Erlebnissen geholfen, das Geschehene zu akzeptieren. „Für mich ist es eine Bereicherung, aus etwas so Schlechtem doch noch etwas Gutes machen zu können.“
Weitere Infos unter: www.irrsinnig-menschlich.de
Julia Höhn, Redaktion (Universum Verlag)