Angst, Trauer oder Stress belasten die Psyche und können zu schulischen Problemen führen. Mit dem Programm MindMatters lernen Kinder und Jugendliche, ihre Gefühle besser zu verstehen und mit ihnen umzugehen – zum Beispiel an der Grundschule Lütau.
Leo beugt sich über sein Arbeitsblatt mit gezeichneten Gesichtern. Der Siebenjährige soll herausfinden, welche Emotionen sich hinter ihrer Mimik verbergen. „Die beiden sind fröhlich, weil sie lächeln“, sagt Leo. Seine Mitschülerin Pia (8) zeigt auf ein anderes Gesicht. „Die Frau hat Angst“, meint sie und schreibt das Wort unter die Zeichnung.
An der Grundschule Lütau bei Lauenburg in Schleswig-Holstein stehen heute Gefühle auf dem Stundenplan. Die Lehrkräfte nutzen eine Doppelstunde, um die Materialien des Programms MindMatters anzuwenden. MindMatters soll die psychische Gesundheit an Schulen fördern – durch Übungen, die die inneren Ressourcen und das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkräfte stärken.
Der Bedarf an Programmen zur seelischen Unterstützung wird deutlich durch das Ergebnis der Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS): In den Jahren 2014 bis 2017 zeigten rund 17 Prozent der Drei- bis 17-Jährigen psychische Auffälligkeiten. „Ich beobachte, dass immer mehr Kinder unter Leistungsdruck stehen, ihre Gefühle aber nicht benennen können“, erzählt Angela Harting, Schulleiterin der Grundschule Lütau. Auch Spannungskopfschmerzen träten immer häufiger auf. Vor vier Jahren suchte sie nach einer Möglichkeit, den Kindern zu helfen – und stieß im Internet auf MindMatters.
Als die Schulleiterin das Programm ihrem Kollegium vorstellte, reagierte dieses zunächst verhalten. „Der Bedarf war allen klar, die Frage war nur: Wie sollen wir das zeitlich schaffen?“, erzählt sie. In den Materialien finden Lehrkräfte zwar Anregungen, wie sie die Themen in den Fachunterricht einbinden können. „Doch im Alltag ist das Vorhaben untergegangen“, sagt Angela Harting. Deshalb legt die Schule inzwischen vier bis sechs Tage im Jahr fest, an denen alle Klassen gleichzeitig mit dem Programm arbeiten. Das Kollegium nahm zudem an einer Schulung teil, die es aktiv bei der Universität Lüneburg angefragt hatte. Wichtig: Bundesweit finden Fortbildungen zu MindMatters statt.
Welche Materialien die Lehrerinnen und Lehrer in ihren Klassen anwenden, entscheiden sie nach Bedarf. Angela Harting sieht darin einen Vorteil des Programms: „Es erfordert wenig Aufwand und ist flexibel einsetzbar“, sagt sie. In jahrgangsübergreifenden Klassen wie an der Grundschule Lütau können die Kinder zum Beispiel Arbeitsblätter mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen bearbeiten.
Die Klasse A von Leo und Pia beschäftigt sich heute mit Schulsituationen, die Angst machen. Nebenan sammelt Klasse C unterschiedliche Begriffe für ein Gefühl wie z. B. „fröhlich“, „glücklich“ und „zufrieden“ für Freude. Und Klasse E lernt, dass man Emotionen nicht nur am Gesicht, sondern auch an der Körperhaltung erkennt. „Jonas, kannst du uns zeigen, wie du aussiehst, wenn du wütend bist?“, fragt Lehrerin Lena Rüder. Jonas ballt die Fäuste und spannt alle Muskeln in seinem Körper an. „Als Nächstes überlegen wir, was ihr tun könnt, um gar nicht erst wütend zu werden“, kündigt Lena Rüder an.
Nachdem die Schulkonferenz in Lütau den Einsatz des Programms beschlossen hatte, informierten die Klassenlehrerinnen und -lehrer die Eltern von dem Vorhaben. Angela Harting berichtet nun regelmäßig in einem Elternbrief von den MindMatters-Tagen. Dafür nutzt sie auch Vorlagen des Präventionsprogramms.
Mittlerweile stellt die Schulleiterin positive Veränderungen im Miteinander fest. „Ich merke, dass die Kinder sich besser ineinander einfühlen, darüber nachdenken und sprechen, wie es ihnen geht“, sagt Angela Harting. Auch Lehrkräfte profitieren psychisch wie körperlich, wenn sie in einer respektvollen und empathischen Umgebung unterrichten. Angela Harting ist sicher: „Es ist ein Prozess. Wir müssen dranbleiben.“
Weitere Infos unter www.mindmatters-schule.de
Nele Langosch ist Journalistin und Diplom-Psychologin.