Foto: Katharina Hein

„Es fehlt der Mut, auf andere zuzugehen“

  • Einsamkeit zunehmendes Thema in der Beratungsarbeit
  • Was Schulkollegium und Schulsozialarbeit tun können
  • Durch Schulschließungen viele Kontakte weggebrochen

 

Einsamkeit ist ein Tabuthema, doch in der Schülerschaft weit verbreitet. Sozialar-beiter Driton Gashi von einer Dortmunder Abendrealschule erklärt, wie Schulen Kontakte fördern können.

 

Umfragen zufolge fühlen sich junge Menschen besonders häufig einsam. Merken Sie das auch bei Ihrer Beratungsarbeit in der Schule?

 

Niemand gibt gern zu, dass er keine Freunde hat. Um zu erkennen, wer einsam ist, musste ich erst eine gewisse Sensibilität entwickeln. Inzwischen spüre ich es. Manche Schülerinnen und Schüler kommen sehr häufig zu mir, auch wenn sie keine konkrete Hilfe benötigen, zum Beispiel mit ihren Bewerbungsunterlagen. Sie wollen nur, dass ihnen jemand zuhört.

 

Was erzählen Ihnen die Schülerinnen und Schüler?

 

Einen jungen Mann aus Guinea habe ich dabei unterstützt, eine Wohnung zu finden. Ich fragte ihn, ob er Leute kenne, die ihm beim Umzug helfen würden. Er erwiderte die Frage dahingehend, ob ich vielleicht jemanden wüsste. Er hatte gar keine Freunde. Ein anderer Geflüchteter aus Syrien berichtete mir, dass er seit seiner Ankunft in Dortmund vor vier Jahren zwar einige Kontakte geknüpft habe, sich aber trotzdem einsam fühle. Noch dazu machte er sich Sorgen um seine Familie in Syrien. Auch eine Schülerin aus Rumänien erzählte, dass ihr das familiäre Netz in ihrer Heimat fehle. Abends sei sie immer allein. Es gab auch schon Schülerinnen, die bitterlich geweint haben.

 

Sind junge Menschen mit einem Migrationshintergrund Ihrer Erfahrung nach besonders gefährdet?

 

Je älter sie sind, desto schwerer wird es für Zuwanderer und Migrantinnen, spontan neue Menschen kennenzulernen. Das soziale Leben in Deutschland spielt sich zum Großteil in Vereinen ab, in organisierter Form. Wenn jemand mit diesen Strukturen nicht aufgewachsen ist, kann er schwer nachvollziehen, wie hier Freundschaften entstehen. Auch deutschstämmige Schülerinnen und Schüler erlebe ich als einsam, besonders ehemalige Förderschüler mit psychischen Problemen.

 

Wie können Sie ihnen helfen?

 

Ich tausche mich mit dem Kollegium aus. Fällt auf, dass sich jemand abkapselt und auch in der Pause alleine ist, gehe ich in die entsprechende Klasse, beschreibe meine Aufgaben als Sozialpädagoge und sage: „Sie können jederzeit bei mir anklopfen, auch ohne Termin, zum Quatschen.“ So fühlen sich alle angesprochen und niemand muss sich schämen. Auf keinen Fall spreche ich einzelne Schülerinnen und Schüler gezielt an. Wenn jemand schüchtern ist, bekommt er dadurch nur noch mehr Angst.

 

Und wenn die Schülerinnen und Schüler zu Ihnen kommen?

 

Auch dann gehe ich das Thema sehr sensibel an. Ich frage nicht: „Sind Sie einsam?“ Sondern: „Haben Sie Freunde gefunden hier in Dortmund? Was machen Sie in Ihrer Freizeit?“ So bekomme ich ein Gespür dafür, wie groß das soziale Netzwerk ist. Und ich gebe Anregungen, habe zum Beispiel alle Angebote für Migrantinnen und Migranten in der Stadt Dortmund in einem Flyer zusammengefasst. Es gibt auch für Deutschstämmige organisierte Freizeitaktivitäten von Vereinen, Initiativen und Beratungsstellen. Trotzdem fehlt vielen der Mut, auf andere zuzugehen, gerade bei einer sprachlichen Unsicherheit.

Wie kann die Schule noch helfen?

 

Indem sie ermöglicht, dass die Schülerinnen und Schüler sich besser kennenlernen, zum Beispiel bei mehr- tägigen Exkursionen, Fußballturnieren und Sommerfesten. Nach einem von uns organisierten Kinobesuch sind wir etwas trinken gegangen. Es stellte sich heraus: Viele waren nie zuvor in einem Kino.

 

Tragen soziale Netzwerke dazu bei, Einsamkeit zu überwinden?

 

Digitale Medien bieten die Chance, in Kontakt zu bleiben. Aber sie ersetzen nicht die persönliche Nähe. Das haben wir zu Beginn der Corona-Pandemie gespürt: Für viele Schülerinnen und Schüler sind durch die Schulschließungen alle Kontakte weggebrochen. Ich habe in dieser Zeit Beratung über E-Mail oder Skype angeboten.

 

Was raten Sie anderen Schulen?

 

Das Thema immer wieder im Kollegium anzusprechen, zum Beispiel bei Konferenzen. Mancherorts können sich Lehrkräfte extern sozialpädagogische Unterstützung holen, zum Beispiel bei der Caritas. Es gibt kein Patentrezept gegen Einsamkeit. Öffnet sich ein Schüler oder eine Schülerin mit der Zeit, ist das ein Erfolg. Bei schwierigen Fällen muss ich aushalten, dass meine Hilfe Grenzen hat.

 

Einsamkeit

  • ist nicht das Gleiche wie Alleinsein, sondern das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, ohne Kontakte, die so intensiv sind, wie man es sich wünscht.
  • ist verbunden mit einem erhöhten Risiko für gesundheitliche Probleme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zu Depressionen.

Vier Schritte

 

Mit vier Schritten soll sich die gefühlte Isolation überwinden lassen, meint der Psychologe John Cacioppo:

  • 1. Suche aktiv Begegnungen, zum Beispiel durch ein Ehrenamt.
  • 2. Realisiere, dass du die Kontrolle über deine Situation hast.
  • 3. Konzentriere dich auf Kontakte, mit denen du Werte, Interessen und Aktivitäten teilst.
  • 4. Erwarte das Beste. So strahlst du guten Willen und emotionale Wärme aus.

 

Das Kinder- und Jugendtelefon „Nummer gegen Kummer“ hilft unter Telefon 116 111 (kostenfrei, anonym), per Chat oder E-Mail: www.nummergegenkummer.de

 


Nele Langosch, freie Journalistin

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