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Vom Sprechen und Schweigen

  • Kommunikation mit psychisch belasteten Kindern und Jugendlichen
  • Lehrkräfte bewegen sich zwischen Schweige- und Informationspflichten
  • Bei drohender Kindeswohlgefährdung Anspruch auf professionelle Beratung

 

Die Corona-Pandemie oder andere Krisenerlebnisse können Kinder und Jugendliche im Schulalltag belasten. Lehrkräfte bewegen sich in Gesprächen mit Betroffenen auf einem schmalen Grat zwischen Verschwiegenheits- und Informationspflicht. Pauschale Empfehlungen lassen sich zu diesem Thema nur schwer treffen – es kommt stark auf den Einzelfall an.

 

Grundsätzlich sind Lehrkräfte qua Beamtengesetz, Tarifvertrag und Dienstordnung zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zugleich haben sie Informationspflichten gegenüber Eltern, Kollegium und Schulleitung, die sich aus Schulgesetz und Schulordnung ergeben. Hinzu kommen außerschulische Informationspflichten, etwa bei geplanten Straftaten. Zusätzlich benennen einige Kultusministerien weitere Delikte, die offenbart werden müssen. Bei der Frage, ob Verschwiegenheit oder Informationspflicht greift, kommt es also meist auf die Umstände der Einzelsituation an.

 

Ist etwa ein Jugendlicher in der Klasse psychisch erkrankt, besteht eine strafrechtlich geschützte Schweigepflicht nach Paragraph 203 Strafgesetzbuch. Ohne Einwilligung der Eltern und des Betroffenen darf eine Lehrkraft dann weder das Kollegium noch die Klassengemeinschaft und deren Eltern darüber informieren. Für die anderen Lehrkräfte der Schule kann es jedoch hilfreich sein, von der Erkrankung zu wissen. Daher ist es ratsam, mit den Eltern abzustimmen, ob und welche Informationen weitergegeben werden dürfen.

 

Was ist zu tun, wenn sich belastet fühlende Schülerinnen und Schüler mit einem Problem einer Lehrkraft anvertrauen? Häufig äußern Kinder und Jugendliche im Gespräch die Bitte, bloß nichts den Eltern zu sagen. Oder versuchen, sich von vornherein vom Lehrer oder von der Lehrerin Vertraulichkeit zusichern zu lassen. Für solche Situationen empfiehlt Oliver Appel, Leiter der Abteilung Schulpsychologie im Pädagogischen Landesinstitut Rheinland-Pfalz, sich erst einmal ein Bild zu machen und offene Fragen zu stellen.

Paraphrasieren und keine Hypothesen aufstellen

 

So biete sich die Frage an, was es denn so schwierig mache, die Eltern einzubinden. Er rät: Paraphrasierend antworten, keine Hypothesen aufstellen und schon früh im Gespräch zu verdeutlichen: „Meine Aufgabe ist ein Stück weit auch, mit deinen Eltern zusammenzuarbeiten und sie einzubeziehen.“

Entstehe aufgrund der vom Kind oder Jugendlichen geschilderten Problematik ein Dilemma, sollten Lehrkräfte das transparent machen: „An der Stelle ist es für mich nicht möglich, deine Eltern nicht einzuschalten. Lass uns mal gemeinsam überlegen, wie wir das machen.“ Hier haben Pädagogen, je nach Einzelfall, Ermessensspielraum. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Schulsozialarbeit hinzuziehen.

 

Außerdem können sich Lehrerinnen oder Lehrer selbst beraten lassen, zum Beispiel durch den schulpsychologischen Dienst. In diesem Fall müssen die Eltern des Jugendlichen zwingend nicht informiert werden, da sich die Beratung auf die Lehrkraft bezieht. Eine kollegiale Fallberatung ist ebenfalls möglich, jedoch darf die Lehrkraft keine Namen oder Details nennen – auch nicht auf Nachfragen. „Das geht nur anonymisiert und nicht im Lehrerzimmer, wenn andere zuhören können“, betont Appel.

 

Manchmal sind die Probleme eines Schülers oder einer Schülerin so schwerwiegend, dass das Kindeswohl womöglich gefährdet ist. Einige Schulämter, Kommunen, Bezirksregierungen und Bundesländer, etwa Thüringen, haben Leitfäden erarbeitet, wie in Schulen bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung vorzugehen ist. Laut Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) sollen Lehrkräfte, wenn ihnen gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt werden, die Situation mit dem Kind oder Jugendlichen und dessen Sorgeberechtigten erörtern.

 

Die Eltern sind also in der Regel miteinzubeziehen, sofern dadurch der wirksame Schutz des Kindes nicht gefährdet wird. Das kann bei körperlicher oder sexualisierter Gewalt der Fall sein. Zudem sollen Lehrkräfte dem KKG zufolge bei den Eltern, soweit es erforderlich ist, darauf hinwirken, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

 

Bei einer drohenden Kindeswohlgefährdung empfiehlt Appel, sich mit Kolleginnen und Kollegen zu besprechen. Und zu klären, ob diese ähnliche Beobachtungen gemacht haben und wie das Gefährdungsrisiko einzuschätzen ist. Diese Einschätzung kann schwierig sein. Darum sollte man nicht zögern, externe Fachkräfte von der Schulpsychologie, Kinderschutzdienst oder eine sogenannte insoweit erfahrene Fachkraft des Jugendamtes hinzuzuziehen.

 

Für diese Einschätzung haben Lehrkräfte gegenüber der öffentlichen Jugendhilfe einen gesetzlichen Anspruch auf Beratung durch eine insoweit erfahrene Fachkraft. Zu diesem Zweck sind Lehrkräfte befugt, dieser Person die erforderlichen Daten zu übermitteln, sie müssen sie jedoch vorher pseudonymisieren. Bei akuter Gefahr ist das zuständige Jugend-amt zu informieren und die erforderlichen Daten mitzuteilen. Die Eltern sollen darüber in Kenntnis gesetzt werden – doch auch hier geht der Schutz des Kindes oder Jugendlichen vor.

Weitere Infos

  • Die Begriffe Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung sind im Gesetz nicht definiert, mithin muss jeder Einzelfall eigenständig eingeschätzt werden.
  • Zu den Formen der Kindeswohlgefährdung zählen etwa Vernachlässigung, physische und psychische Misshandlung, häusliche oder sexualisierte Gewalt, aber auch extreme Überbehütung.
  • Die Handreichung „Ausmaß und Grenzen der Schweige- und Offenbarungspflichten von Lehrkräften“ der Hamburger Behörde für Bildung und Sport von 2004 enthält einige praktische Beispiele. Sie ist in Suchmaschinen unter dem genannten Titel auffindbar.
  • „Resilienz – Raum geben, sich mitzuteilen“ heißt eine Veröffentlichung des Pädagogischen Landesinstituts Rheinland-Pfalz zur Kommunikation mit Schülerinnen und Schülern. Es gibt sie unter: https://schuleonline.bildung-rp.de, Rubrik „Unterstützung für Schulleiter und Lehrkräfte“


Mirjam Ulrich, freie Journalistin

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