Das höchste deutsche Sozialgericht hatte über den Unfall eines Schülers zu entscheiden. Dieser ereignete sich bei einer schulisch initiierten Gruppenarbeit, die nach dem Unterricht außerhalb des Schulgeländes stattfand. Der 15-jährige Schüler sollte im Musikunterricht gemeinsam mit drei Mitschülern einen Videoclip erstellen. Weil die Gruppe im Unterricht nicht fertig wurde, traf sie sich mit Billigung der Musiklehrerin zu den Dreharbeiten nach dem Unterricht im häuslichen Bereich eines Mitschülers. Dabei kam es in der Gruppe zum Streit. Der betreffende Schüler wurde auf dem Heimweg von einem ihm nachlaufenden Klassenkameraden umgestoßen und verletzte sich schwer.
Das Bundessozialgericht verurteilte die Unfallkasse Baden-Württemberg, den Fall als versicherten Schulunfall anzuerkennen (Aktenzeichen B 2 U 8/16 R). Denn eine von einer Lehrkraft veranlasste Gruppenprojektarbeit ist Teil des versicherten Schulbesuchs, auch wenn sie außerhalb der Schule erledigt werden kann.
Zur Erklärung: Der Unfallversicherungsschutz umfasst Betätigungen während des Unterrichts und in den dazwischenliegenden Pausen, außerdem Schulveranstaltungen wie etwa Schulausflüge, Klassenfahrten, Schulfeste, Schülerbetriebspraktika oder die Teilnahme an schulischem Förder- oder Projektunterricht. Gleiches gilt für unmittelbare Wege zur Schule und nach Hause.
Wichtig für den Versicherungsschutz ist, dass die Verrichtung der Schülerin oder des Schülers zwingend im organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule liegen muss. Und sie muss zur Zeit des Unfalls im sachlichen Zusammenhang mit der grundsätzlich versicherten Tätigkeit als Schülerin oder Schüler stehen. Dass die Person eine Schülerin oder ein Schüler ist, reicht aber für die Begründung des Unfallversicherungsschutzes allein nicht aus.
Unfallversicherungsschutz liegt nur dann vor, wenn ein sachlicher Zusammenhang mit dem Schulbesuch besteht. Dafür ist in jedem Einzelfall eine rechtliche Wertung aller Umstände erforderlich. Dabei kommt es unter anderem darauf an, dass die Schule eine inhaltlich-organisatorische Mitverantwortung innehatte. Es ist also nicht alles, was „irgendwie“ mit Schule zu tun hat, auch versichert. Zum Beispiel bleibt die Erledigung von Hausaufgaben außerhalb der Schule nach wie vor unversichert.
Durch das vorliegende Urteil wird die bisherige Rechtsprechung hinsichtlich des schulischen Verantwortungsbereichs weiterentwickelt. Daher sollten Lehrkräfte die Organisation und Planung von Gruppenarbeiten so konkret wie möglich ausgestalten. Je stärker die Schule konkret in die Organisation und Planung eingebunden ist, desto mehr spricht für das Bestehen des Unfallversicherungsschutzes. Je freier Schülerinnen und Schüler in der Aufgabenwahrnehmung sind, desto weniger spricht dafür, dass die Gruppenarbeiten dem organisatorischen Verantwortungsbereich der Schule zugerechnet werden können.
Tobias Schlaeger, Bereichsleitung Grundsatz, Unfallkasse Nordrhein-Westfalen