Bild: Fotolia, Christian Schwier

„Bewegung ist die Grundlage allen Lernens“

  • Nur in der Bewegung bilden sich Muskeln, Organe und Nervensystem richtig aus
  • Körperliche Aktivität fördert das konzentrierte Lernen und die Durchblutung des Gehirns
  • Lernphasen, Bewegung und Entspannung sollten rhythmisiert werden


Frau Prof. Zimmer, warum brauchen Kinder mehr Bewegung im Schulalltag?

Prof. Zimmer: Wir leben in einer Gesellschaft, die durch Bewe-gungsmangel und langes Sitzen geprägt ist. Die Folgen sind zum Beispiel Übergewicht, Konzentrationsmangel, Rückenschmerzen und motorische Defizite. Das fängt bereits im Kindesalter an. Gerade Institutionen wie Kindertagesstätten und Schulen, in denen Kinder sehr viel Zeit verbringen, müssen hier gegensteuern und Verant-wortung übernehmen. Denn für Kinder ist Bewegung eine wichtige Grundlage ihrer gesunden Entwicklung. Nur in der Bewegung bilden sich Muskeln, Organe und das Nervensystem richtig aus.


Gibt es einen Richtwert, wie viel sich zum Beispiel ein Grundschulkind täglich bewegen sollte?

Prof. Zimmer: Zwei Stunden intensive Bewegung pro Tag sollten im Grundschulalter schon drin sein. Das bedeutet nicht, dass das Kind jeden Tag in den Sportver-ein geht und ausschließlich bestimmte Bewegungen gezielt übt. Es geht hier vor allem um das freie Rennen, Klettern und Toben. Bewegungszeit sollte über den ganzen Tag verteilt werden, in der Schule ebenso wie zu Hause. Und: Bewegung sollte Spaß machen! Dann mobilisiert sie die eigenen Gesundheitsressourcen. So stärken Kinder etwa ihr Selbstvertrauen, indem sie sich Bewegungsherausforde-rungen suchen – wie etwa auf Mauern balancieren oder auf Bäume klettern – und diese meistern.

Mehr Bewegung sorgt für mehr Ruhe

Und wie kann man sich den bewegten Unterricht im Klassenzimmer vorstellen?
Prof. Zimmer: Die Kinder können beispielsweise wählen, ob sie lieber im Sitzen, Stehen oder Liegen arbeiten möchten. Viele Unterrichtsinhalte können direkt auch durch Bewegung vermittelt oder gefestigt werden. Zum Beispiel im Deutsch- oder Fremdsprachenunterricht, wenn das Thema Präpositionen ansteht (auf, über, hinter, vor und so weiter). Das kann wunderbar mit einem Bewegungsspiel geübt werden. Die Kinder wechseln dabei immer wieder ihre Position im Raum, sitzen mal unterm Tisch, stehen hinter ihrem Stuhl, neben der Mitschülerin und so weiter. Auch im Sachunterricht können zum Beispiel naturwissenschaftliche Phänomene durch Bewegung erarbeitet werden. Experimente, die möglichst viele Sinne ansprechen, machen Gelerntes unmittelbar erfahrbar und gehören zum bewegten Unterricht.

 

In großen, sehr heterogenen Klassen geht es oft bereits sehr unruhig zu. Schafft mehr Bewegung dann nicht noch mehr Unruhe?
Prof. Zimmer: In der Wahrnehmung vieler Erwachsener ist Bewegung eng mit Unruhe verknüpft. Aber wir sprechen hier ja nicht von unkontrolliertem Toben durch den Klassenraum. Vielmehr geht es darum, den Bewegungsbedürfnissen der Kinder im schulischen Rahmen so weit wie möglich gerecht zu werden. Letztlich sorgt mehr Bewegung dann sogar für mehr Ruhe im Klassenzimmer!


Vielen Dank für das Gespräch.

Und die kognitiven Fähigkeiten der Kinder, werden die ebenfalls durch Bewegung beeinflusst?
Prof. Zimmer: Bewegung ist gewissermaßen die Grundlage allen Lernens. Kognitive Fähigkeiten entwickeln sich bereits bei Säuglingen durch Körper- und Sinneserfahrungen. Sie eignen sich in der Bewegung die Welt an. So machen sie Erfahrungen, die im Gehirn zur Verbindung von Nervenzellen führen. Und dieser Prozess findet auch später, lebenslang statt. Je enger Lernen mit körperlicher Aktivität verknüpft wird und je mehr Sinne dabei angesprochen werden, desto besser können Informationen aufgenommen und verarbeitet werden und desto nachhaltiger wird gelernt. Bewegung unterstützt die Durchblutung des Gehirns und fördert so auch die Konzentration. Bewegung stört also nicht die Konzentration, sie ermöglicht sie!

 

Den Körper als Verbündeten verstehen

Wie lässt sich denn mehr Bewegung in den Schulalltag integrieren?
Prof. Zimmer: Wichtig ist vor allem eine Rhythmisierung des Unterrichts. Lernphasen wechseln sich mit Entspannungseinheiten und Bewegungspausen ab. Denn gerade bei jüngeren Kindern gilt: Nach etwa 20 Minuten lässt die Konzentration deutlich nach. Dann sollte der Körper nicht als Gegenspieler angesehen werden, sondern vielmehr als Verbündeter. Er zeigt: Jetzt ist eine Bewegungspause oder eine Entspannungsphase mit einer Fantasiereise oder mit einfachen Entspannungsübungen angesagt. In der Pause sollten die Kinder dann die Gelegenheit zum Toben haben. Ein Schulgelände mit unterschiedlichen Bewegungsanreizen macht die Pause zur Bewegungspause.

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