Herr Schulte, es weiß doch eigentlich jeder, wie gefährlich es ist, während des Fahrens das Smartphone zu bedienen oder das Navi zu programmieren. Warum tun es trotzdem so viele?
Schulte: Sie überschätzen die eigenen Fähigkeiten und unterschätzen das Risiko. Wer beim Fahren sein Smartphone bedient, erhöht sein Unfallrisiko um mehr als 12 Prozent. Ein Beispiel: Wenn Sie bei einer Geschwindigkeit von 50 Stundenkilometern eine kurze Nachricht, zum Beispiel „Kaufe noch ein Brot, bin dann gleich zu Hause, deck schon mal den Tisch“ schreiben, brauchen Sie dafür zirka 90 Sekunden. In dieser Zeit legen Sie etwa 1.240 Meter zurück, davon 333 Meter in absolutem Blindflug. Ein Fußgänger würde 150 Meter zurücklegen, davon 40 Meter, ohne aufzusehen. Eine extrem gefährliche Sache: Allein in Berlin sind 2016 vier junge Fußgänger schwer oder tödlich verletzt worden, weil sie auf die Straße gelaufen sind, ohne vom Smartphone hochzuschauen.
Lenken sich junge Menschen im Straßenverkehr anders ab als ältere?
Schulte: Jugendliche und junge Erwachsene nutzen ihr Smartphone eher für soziale Netzwerke oder zum Musikhören. Das gilt auch für Fußgänger und Zweiradfahrer. Ältere checken beim Autofahren in der Regel ihre beruflichen Mails, versenden Nachrichten und telefonieren. Übrigens geht es beim Thema Ablenkung nicht allein um das Smartphone. Auch Trinken, Essen, Rauchen, das Bedienen des Navis, Reden und vor allem Streiten führen zu Unaufmerksamkeit und erhöhen die Unfallgefahr. Das Risiko ist aber nicht ganz so hoch wie bei der Nutzung eines Smartphones, weil man bei diesen Tätigkeiten meistens die Straße noch im Blick hat.
Laut Verkehrssicherheitsstudie des Allianz Zentrums für Technik von 2016 sind Fahrerinnen und Fahrer zwischen 18 und 24 Jahren am anfälligsten für Ablenkungen. Warum?
Schulte: Ein Wissenschaftler hat herausgefunden: Je höher bei jungen Leuten die Angst ist, etwas in sozialen Netzwerken zu verpassen, desto mehr steigt ihre Bereitschaft, sofort auf eingehende Nachrichten zu reagieren. Sie können einfach nicht warten und greifen bei jedem „Pling“ sofort zum Handy.
Das würde ja bedeuten, dass nachhaltige Präventionsprogramme im Bereich Medienkompetenz ansetzen müssten.
Schulte: Genau. Hier haben die Schulen eine echte Aufklärungschance und können die Zielgruppe in ihrer Lebenswelt abholen. Themen wie „Soziale Netzwerke“, „Virtuelle Welten“, „Cybermobbing“, „Onlinesucht“, gekoppelt an Fragen zur modernen Mobilitätsbildung und Stresskompetenz, müssten verstärkt in den Unterricht eingebunden werden. Wichtig sind auch praktische Übungen, die zeigen, wie sich Reaktionszeiten verändern, wenn man mehrere Aufgaben zugleich erledigt. Das Thema ist wirklich brandheiß und sollte angesichts der zu befürchtenden steigenden Unfallzahlen unbedingt in den Fokus der Schulen, Fahrschulen und Verkehrssicherheitstrainings genommen werden.
Gabriele Albert, Redakteurin (Universum Verlag)