Foto:Thinkstock

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Gefangen im Netz

Laura checkt unter der Bank, ob es neue Kommentare zu ihrem letzten Post gibt. Der virtuelle Eintrag enthält ein cooles Selfie, das die Schülerin in Manga-Verkleidung zeigt. Den Schulunterricht nimmt die 15-Jährige nur noch als Geräuschkulisse wahr. Auch die Hausaufgaben erledigt sie unregelmäßig. Manchmal bleibt sie eben einfach in einem Chat mit anderen Fans des japanischen Manga-Comicstils hängen.


Laura verbringt einen Großteil ihrer Freizeit online, ist bei Facebook und in verschiedenen Chatrooms aktiv. Über WhatsApp ist sie in mehreren Gruppen mit ihren Freundinnen und Freunden vernetzt. Wichtigstes Kommunikationsmittel ist ihr Smartphone, das an manchen Tagen über hundertmal vibriert, wenn die Schülerin neue Nachrichten empfängt. „Ich muss mein Handy einfach immer bei mir haben, damit ich weiß, was geht“, sagt sie.


Auch der 14-jährige Till ist täglich mindes-tens fünf Stunden online. „Am Wochenende werden es auch schon mal zehn bis zwölf Stunden pro Tag“, gibt der schüchtern wirkende, blasse Junge zu. In einem Team von rund 20 anderen Gamern spielt er regelmäßig im Internet ein sogenanntes Massively Multiplayer Online Role-Playing Game, kurz MMORPG. Bei dem Online- Rollenspiel in Echtzeit schaltet er mit seinem Team gegnerische Spieler und blutrünstige Monster aus. Werden Aufgaben erfolgreich erledigt, können die Spieler ihre Avatare – die Spielfiguren, in deren Rolle sie schlüpfen – zur Belohnung weiter aufbauen und sich „hochleveln“. Sie sammeln Erfahrungspunkte oder die Figur erhält ein neues Outfit, Waffen oder brauchbare Fähigkeiten.


Jenseits der virtuellen Spielwelten sieht Tills Alltag ganz anders aus. Für Fußball oder andere Hobbys hat er keine Zeit mehr, weil er jede freie Minute vor dem Computer sitzt. Und in seiner Klasse ist er sowieso nur der „Nerd“, für den sich keiner wirklich interessiert. Er fühlt sich in der „Offline-Welt“ immer weniger zu Hause. „Meine Freunde habe ich in meinem Team“, sagt er.

„Probleme mit dem „Abschalten“

„Schwierig wird es dann, wenn das Abschalten – auch im übertragenen Sinne – nicht mehr gelingt“, weiß Dr. med. Bert te Wildt. Er behandelt als leitender Oberarzt Internet- und Computerspielabhängige in der Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitäts-klinikums der Ruhr-Universität Bochum. „So ist ein Kriterium für die Internetabhängigkeit, dass sich das Denken der Betroffenen nur noch darum dreht, was gerade online passiert.“ Können Abhängige das Internet zeitweilig nicht nutzen, reagieren sie gereizt, aggressiv oder verfallen in Depressionen. Ihr Verhalten gleicht nicht selten den Entzugserscheinungen, die auch von anderen Süchten bekannt sind.


Lehrerinnen und Lehrern empfiehlt te Wildt genauer hinzuschauen, wenn besonders introvertierte Jugendliche häufig zu spät zur Schule kommen, während des Unterrichts einschlafen und sich mehr und mehr aus der Klassengemeinschaft zurückziehen. Wichtig sei es, die Betroffenen frühzeitig auf ihre Probleme anzusprechen und auch die Eltern einzubeziehen. „Sie sollten in jedem Fall wissen, was ihre Kinder im Internet treiben“, sagt te Wildt und empfiehlt zum Beispiel, gemeinsam Zeiten zu vereinbaren, in denen Kinder „offline“ sind.


Auch mit Zeitschaltuhren und Filtern könnten dem uneingeschränkten Internetkonsum Grenzen gesetzt werden. Dr. te Wildt hält fest: „Ich möchte den Fokus stärker auf die Offline-Zeiten richten. Es kann nicht nur darum gehen, Medien einfach zu verbieten, ohne die Freizeit anders zu füllen und gemeinsam mit den Jugendlichen nach ’Offline’-Alternativen zu suchen. Das können zum Beipiel sportliches oder musikalisches Engagement in Vereinen sein oder einfach gemeinsame Aktivitäten in der Familie oder mit Freunden. Nur, wenn auch das ’real life’ etwas zu bieten hat, verliert das Internet seinen Reiz.“


Ricarda Gerber, Freie Journalistin und Diplom-Pädagogin


redaktion.pp(at)universum.de

 

 

5 Tipps für eine Unterrichtseinheit zum Thema Internetabhängigkeit

1. Internet-Tagebuch führen
Die Schülerinnen und Schüler schreiben auf, wann und wie sie online sind und was sie im Netz machen.

 

2. Abstinenz-Experiment
Die Jugendlichen verzichten einen Tag lang vollständig auf alle elektronischen Medien. Welche Erfahrungen werden gemacht? Wie wird ein „Offline- Tag“ erlebt? Gibt es Jugendliche, die sich dem Experiment verweigern? Wenn ja, warum?

 

3. Offline-Alternativen planen
Welchen Hobbys gehen die Jugendlichen nach? Was würden sie gerne unternehmen, wenn ihnen keine elektronischen Medien zur Verfügung stehen?

 

4. Referenten einladen
Ehemalige Betroffene oder Suchtberater können persönlich und für Jugendliche eindringlich von Suchterfahrungen berichten.

 

5. Online-Computerspiele unter die Lupe nehmen
Welche Spiele werden gespielt? Was gefällt den Jugendlichen daran? Wie werden die Gamer an das Spiel gebunden?

 

 

500.000 sind abhängig vom Internet

Laura und Till stehen beispielhaft für deutschlandweit über 500.000 Internetabhängige. Diese Zahl wurde vom Bundesamt für Gesundheit veröffentlicht. Betroffene Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen sind hauptsächlich computerspielabhängig oder süchtig danach, in sozialen Netzwerken zu chatten, Bilder zu posten und oder sich Videos bei YouTube anzuschauen. Weitere Arten der Internetabhängigkeit sind Cyber-Sexsucht, Online- Kaufsucht, Online-Glücksspielsucht und immer häufiger auch die Abhängigkeit von TV-Serien, deren Folgen jederzeit online verfügbar sind. Wann aus einer intensiven Internetnutzung eine Abhängigkeit wird, lässt sich oft nicht genau sagen. Schließlich wachsen Kinder und Jugendliche heute ganz selbstverständlich mit onlinefähigen Medien auf und nutzen sie zu Unterhaltungs-, Informations- und Bildungszwecken intensiv und regelmäßig.


Die Generation der „Digital Natives“ weiß, wie sie Konsolen, PC, Tablets und Smartphones bedienen muss, und sie hat jederzeit Zugang zu den Medien. Laut der vom Medienpädagogischen Forschungsverband Südwest herausgegebenen JIM-Studie 2015 – Jugend, Information, (Multi)Media – besitzen 92 Prozent der 12- bis 19- Jährigen ein Smartphone und drei Viertel von ihnen können mit einer Flatrate jederzeit online sein. Ebenfalls gut drei Viertel der befragten Jugendlichen besitzen einen eigenen Computer oder Laptop.

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