Herr Professor Urban, Sie haben 1980 am Wettbewerb „Jugend forscht“ teilgenommen und mit einer Arbeit über die photochemische Chlorierung von Propan den Bundessieg errungen. Wie kam es dazu?
Ich habe mich früh für die Dinge des Lebens interessiert, wollte wissen, wie sie zusammenhängen. Die endgültige Begeisterung für die Naturwissenschaften aber hat ein Chemielehrer bei mir geweckt. Der Unterricht bei ihm war für mich ein Aha-Erlebnis. Er hat uns zum Beispiel begreiflich gemacht, dass das Periodensystem nicht einfach eine Karte mit Buchstaben und Zahlen ist, sondern ein Abbild der inneren Ordnung unserer Welt, unseres ganzen Universums. Das war fantastisch.
Durch ihn fanden Sie dann auch zu „Jugend forscht“?
Genau. Mein Projekt basierte auf einer Facharbeit in seinem Leistungskurs. Und er stand mir auch mit Rat und Tat zur Seite, nicht bei den Experimenten selbst, aber bei der Struktur der Arbeit. Das war eine sehr wichtige Unterstützung für mich, weil er zum Beispiel auch nachmittags in die Schule kam, damit ich dort meiner Forschung nachgehen konnte. Dass ich damals den Bundessieg geholt habe, ist neben aller eigenen Arbeit auch ihm zu verdanken. Die Auszeichnung hat mich übrigens fürs Leben geprägt.
Inwiefern?
Sie hat mich bestärkt, beruflich in diese Richtung zu gehen. Ich habe zuerst Chemie, später Biochemie studiert. Und schließlich bin ich durch den Preis zur Studienstiftung des Deutschen Volkes gekommen. Das hat mir noch mal ganz neue Verbindungen in das akademische Leben hinein ermöglicht.
Zwei Jahre später haben Sie noch einmal am Wettbewerb Jugend forscht teilgenommen – warum?
Es waren noch ein paar Fragen offen und ich wollte bestimmte Dinge besser machen als beim ersten Mal. Das ist mir meines Erachtens auch gelungen. Trotzdem habe ich „nur“ den zweiten Platz geschafft. Ich war sehr enttäuscht. Aber selbst das war für meine weitere Zukunft eine wichtige Erfahrung. Denn in der Wissenschaft kämpft man immer gegen Konkurrenten um begrenzte Mittel. Auch viele gute Projekte werden nicht gefördert, solche Niederlagen muss man einstecken. Davon darf man sich nicht entmutigen lassen. Dafür war „Jugend forscht“ eine gute Schule.
Heißt das, der Wettbewerb hat Sie Ihr halbes Leben begleitet?
So ungefähr. Später saß ich dann nämlich selbst jahrelang in der Auswahljury.
Und heute sind Sie ein erfolgreicher Wissenschaftler …
Mein Hauptforschungsprojekt sind Hepatitis-Viren, Hepatitis B und Hepatitis D. Etwa ein Drittel der heute lebenden Menschen hatte bereits Kontakt zu ihnen, das sind zwei Milliarden Menschen. Davon sind etwa 240 Millionen chronisch krank, vor allem in Asien und Subsahara-Afrika. Die sitzen auf einer Zeitbombe, weil sie später mit großer Wahrscheinlichkeit Leberkrebs bekommen. Aus jahrelanger Erforschung des Virus haben wir dann ein Medikament entwickelt, das das Eindringen in die Leberzelle blockieren kann. So ein Medikament gibt es bisher nicht.
Ist das Ihr größter bisheriger beruflicher Erfolg?
Kann man so sagen, zumal das Mittel gerade am Menschen getestet wird. Derzeit finden klinische Studien in verschiedenen Ländern mit Hunderten von Patienten statt. Die Ergebnisse werden wir wohl in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren haben. Auf der Basis wird dann über die Zulassung entschieden.
Das wäre dann der Durchbruch im Kampf gegen diese Krankheit?
Möglicherweise ja. Wir müssen sehen, was die Studien ergeben, aber es wäre denkbar.
Wenn Sie zurückdenken an Ihren eigenen Weg – braucht es Vorbilder wie den Chemielehrer, um bei jungen Menschen das Interesse für die Naturwissenschaften zu wecken?
Davon bin ich überzeugt. Das sieht man schon bei Kindern, die total begeisterungsfähig sind. Oft ist es gar nicht so wichtig, was man ihnen zeigt, sondern wie. Es muss Leute geben, die faszinieren und fesseln. Das ist das Entscheidende.
Mit anderen Worten: Wir brauchen leidenschaftliche Lehrer, gerade in den Naturwissenschaften, die ja als eher rational und emotionslos gelten?
Genau. Wer seine Sache nicht mit Leidenschaft betreibt, kann sie auch nicht vermitteln. Das merke ich selbst bei den Studierenden in meinen Vorlesungen.
Was können Schulen noch tun?
Die Naturwissenschaften als selbstverständlichen Teil der Allgemeinbildung erachten. Sie stehen meinem Empfinden nach nicht gleichberechtigt neben den Sprachen und der Literatur. Das bedaure ich. Wenn ich heute zum Beispiel nicht weiß, wie sich die Vererbung vollzieht, wenn ich von Evolutionsprozessen keine Ahnung habe, dann halte ich das für eine große Lücke in der Allgemeinbildung und nicht einfach nur für irgendein fehlendes Fachwissen.
Finden Sie nicht, dass Naturwissenschaften heute schon selbstverständlicher sind als noch vor zwanzig, dreißig Jahren?
Ja schon. Man sieht es ja auch an Experimentiersendungen im Fernsehen oder an Experimentier-AGs in Kindergärten und Grundschulen, die ich alle für gut halte. Aber wir brauchen einfach mehr von allem.
Das heißt auch mehr Stunden Unterricht in den Naturwissenschaften?
Das wäre wünschenswert, aber mir ist vor allem wichtig, dass die Naturwissenschaften als gleichberechtigter Teil von Bildung betrachtet werden, die genaue Zahl der Stunden ist dann nicht so entscheidend.
Werden Naturwissenschaften schon interessant genug unterrichtet?
Das kann ich im Einzelnen nicht beurteilen, aber für Eltern und Schulen gilt gleichermaßen: Man muss das Ganze als Teil der Kultur begreifen, die Kinder ganzheitlich heranführen, auch in Museen, in Planetarien etc. mitnehmen.
Glauben Sie, dass die Mädchen heute schon angemessen gefördert werden?
Da hat sich viel getan. Bei mir an der Universität haben wir inzwischen mehr Frauen als Männer bei den Studierenden, auch in der Gruppe der Doktorandinnen und Doktoranden, und die sind exzellent. Wir haben kein Nachwuchsproblem.
Gilt das für alle Naturwissenschaften?
Da gibt es schon ein Gefälle. Der Frauenanteil ist geringer in der Physik oder Mathematik, aber bei der Biochemie haben wir Gleichstand erreicht.
Was können denn Naturwissenschaftler selber dazu beitragen, Interesse bei der jüngeren Generation zu wecken?
Sie haben eine Bringschuld, die Naturwissenschaften verständlich zu machen. Wir haben in Heidelberg zum Beispiel eine Schüler-Uni, ein Schüler-Labor, an dem auch Professoren teilnehmen. Ich zum Beispiel erzähle dort immer wieder etwas über Viren. Aber natürlich heißt das auch: Forscher müssen in Schulen, in Museen gehen. Sie dürfen ihre Arbeit nicht nur einfach in ihrer Forschungsstätte verrichten. Der Eins-zu-eins-Kontakt ist wichtig.
Sehen Sie neue Möglichkeiten durch die Digitalisierung?
Da hat sich tatsächlich eine ganz neue Welt eröffnet und öffnet sich weiter. Es gibt tolle Portale, eine Mischung aus Bildung und Unterhaltung „Edutaining“. Auch das halte ich für sinnvoll, weil es junge Menschen begeistern kann. Wie viel Digitalisierung in Schulen angebracht ist, kann ich nicht genau beurteilen, aber ich nehme an, dass es auch da neue Optionen für zeitgemäßes Lernen gibt.
Wenn Sie heute noch mal vor Ihrer Berufswahl stünden, würden Sie sich wieder so entscheiden?
(Er lacht). Ich stand nie konkret vor einer Wahl; es war ein Muss. In dem Moment, in dem Sie gefesselt sind von Wissenschaft, haben Sie keine Wahl. Und das galt schon für die Zeit damals rund um „Jugend forscht“. Ich habe mich einfach in den Keller gesetzt und experimentiert.
Das Interview führte Friederike Bauer, freie Journalistin
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