Foto: Julia Schwendner

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Kleine Forscher entdecken die Welt

Konzentriert malt Enisa mit schwarzem Filzstift einen erbsengroßen Punkt auf ein Stück Filterpapier. Dann nimmt die 11-Jährige eine Pipette und tröpfelt etwas Wasser darauf. Der Fleck verläuft – und wechselt dabei die Farbe. „Schau mal, das Schwarz wird zu Blau!“, ruft sie und greift gleich zum gelben Filzstift. Ob auch diese Farbe vom Wasser zerlegt wird, fragt sie sich. „Nein, Gelb bleibt Gelb“, findet Enisa heraus und strahlt. So viele neue Erkenntnisse!


Die eifrige Tüftlerin verbringt ihre Mittagsfreizeit heute in der Forscherwerkstatt der Schule an der Burgweide, einer Ganztagsschule für die Klassen 1 bis 6 im Hamburger Stadtteil Kirchdorf-Süd. Bis zu 15 Schülerinnen und Schüler kommen täglich her, um außerhalb der Unterrichtszeiten zu experimentieren, zu lesen oder die Schlangen, Schildkröten und Bartagamen – kleine Echsen – in den Terrarien zu versorgen.


Die Werkstatt ist Teil des Netzwerks „Haus der kleinen Forscher“. Die Bildungsinitiative bietet seit 2006 vor allem Fortbildungen an, zunächst nur für Kita-Personal, seit 2011 auch für Lehrkräfte an Grundschulen und im Hort. Die Idee: das Interesse und den Forscherdrang von Kindern in den Naturwissenschaften möglichst früh zu wecken und damit dem naturwissenschaftlichen Denken für die spätere Schullaufbahn den Weg zu bahnen.


Die eifrige Tüftlerin verbringt ihre Mittagsfreizeit heute in der Forscherwerkstatt der Schule an der Burgweide, einer Ganztagsschule für die Klassen 1 bis 6 im Hamburger Stadtteil Kirchdorf-Süd. Bis zu 15 Schülerinnen und Schüler kommen täglich her, um außerhalb der Unterrichtszeiten zu experimentieren, zu lesen oder die Schlangen, Schildkröten und Bartagamen – kleine Echsen – in den Terrarien zu versorgen.

Das „Haus der kleinen Forscher“ ist eine gemeinnützige Stiftung in Berlin. Sie knüpft Kontakte zu lokalen Partnern in Städten und Landkreisen, zum Beispiel Vereine, Stadtverwaltungen oder Unternehmen, die die Bildungsinitiative vorantreiben. Die Netzwerkpartner lassen Beschäftigte bei der Stiftung zu Trainerinnen und Trainern ausbilden. Diese Multiplikatoren bieten dann an ihren Herkunftsorten wiederum Fortbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen aller Fachrichtungen an, die mit Kindern von drei bis zehn Jahren arbeiten. In den Seminaren lernen die Lehrkräfte, mit den Kindern Alltagsfragen zu erforschen. „Es geht weniger um Sachwissen“, erklärt Bettina Schmidt, die gemeinsam mit einem Kollegen die Hamburger Forscherwerkstatt betreut und als Netzwerkkoordinatorin Workshops leitet. „Vielmehr sollen die Schülerinnen und Schüler beim Forschen beobachten, hinterfragen und eigene Schlüsse ziehen.“ Dafür müssen die Lehrkräfte nicht jede Frage beantworten können: Statt zu unterrichten, geben sie lediglich Anregungen. Richtig oder Falsch gibt es beim Forschen nicht. Auch brauche man keine umfangreiche Forscherwerkstatt wie in Hamburg, meint Bettina Schmidt: „Forschungsthemen aus dem Alltag kann man in der Grundschule ganz vielfältig integrieren“, so die promovierte Geoökologin. In den Fortbildungen können die Lehrkräfte viele Versuche selbst ausprobieren.


Gefördert wird die Idee vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, der Helmholtz-Gesellschaft und mehreren Stiftungen. Auch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) macht mit: Seit 2009 ist ihr Betriebskindergarten im rheinischen Sankt Augustin ein „Haus der kleinen Forscher“ und gleichzeitig der Netzwerkpartner im Rhein-Sieg-Kreis. Zwei Mitarbeiter des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV leiten die Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte der Umgebung. Außerdem haben sie den Workshop „Kinder forschen zu Prävention“ entwickelt, in dem sie über mögliche Gesundheitsrisiken aufklären.

Forscher-Workshop der DGUV und „Haus der kleinen Forscher“

  • Kinder sind täglich vielfältigen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Um ihr Bewusstsein dafür zu stärken, welche Gefahren bestehen und wie man Unfälle und Krankheiten verhindern kann, hat das Institut für Arbeitsschutz der DGUV in Zusammenarbeit mit der Unfallkasse Rheinland-Pfalz mehrere Forschungsideen entwickelt. Sie greifen Alltagserfahrungen der Kinder auf.
  • Lehrkräfte können die Experimente zu den Themen „Sichtbarkeit im Straßenverkehr“, „Lärm“, „Hygiene und Hautschutz“, „Gefahrstoffe im Haushalt“ sowie „Stolpern, Rutschen und Stürzen“ in einem Workshop zunächst kennenlernen, um sie anschließend mit ihren Schülerinnen und Schülern auszuprobieren.
  • Zudem sind die Ideen auf Experimentierkarten und in einer Begleitbroschüre beschrieben (ab Ende 2016 im Internet frei abrufbar). Mehr Infos: www.dguv.de bzw. „Aus der Arbeit des IFA“ Nr. 0383, Webcode d7624.
  • Das Workshop-Programm in Ihrer Region, Materialien und weitere Informationen über das „Haus der kleinen Forscher“ finden Sie unter www.haus-der-kleinen-forscher.de. Für Kinder ab sechs Jahren gibt es eine eigene Website mit Spielen und Rätseln: www.meine-forscherwelt.de.

 

 

Kinder fragen und finden Antworten

In der Hamburger Forscherwerkstatt pusten die 9-Jährige Sheyla und ihre Mitschülerin Jessica gerade mit einem Strohhalm in eine Spülmittellösung auf flachen Tellern. Riesige Seifenblasenberge entstehen. Jetzt fragen sie sich: Kann man die Seifenblasen anmalen? Jessica probiert es mit einem Filzstift, doch die Blasen platzen. Da hat Germaine (13) eine Idee: „Wir frieren die Seifenblasen ein! Vielleicht klappt es dann.“ Gemeinsam mit Bettina Schmidt stellen die Kinder einen der Teller ins Gefrierfach. In einer Woche wollen sie nachschauen, was mit den Blasen passiert ist.


So wie in diesem Fall kommt der Impuls zum Forschen meist von den Kindern selbst. „Sie haben eine Frage und überlegen sich eigenständig, wie sie sie beantworten könnten“, erklärt Bettina Schmidt. Doch auch Lehrerinnen und Lehrer können ein Forschungsprojekt vorschlagen. In Hamburg haben gerade mehrere Schulklassen zum Thema Licht mit Spiegeln und Dias experimentiert. Dabei kamen Fragen auf wie „Können Schatten eine Farbe haben?“.


„Kinder probieren beim Forschen viel aus. Das machen wir Erwachsenen oft nicht anders“, sagt Bettina Schmidt. Das kindliche Forschen ähnelt nach Auffassung der Bildungsinitiative dem wissenschaftlichen Experimentieren. Die Schülerinnen und Schüler sollen zunächst Ideen und Vermutungen sammeln und dann eigene Versuche machen, um einer Antwort auf die Spur zu kommen. Anschließend beschreiben, dokumentieren und erklären sie ihre Beobachtungen – auf kindgerechte Art.


Um die Sicherheit beim Forschen zu gewährleisten, gibt die Initiative allgemeine Experimentierregeln vor – wie etwa Materialien und Substanzen nur in für sie vorgesehenen Behältern aufzubewahren und gut zu beschriften – und liefert spezielle Hinweise für einzelne Projekte, zum Beispiel eine Schutzkleidung zu tragen oder die Haare zusammenzubinden. Die Stiftung empfiehlt außerdem, mit den Kindern gemeinsam Richtlinien zu erarbeiten, wie zum Beispiel „Wir essen und trinken nicht während des Versuchs“ oder „Wir waschen uns danach die Hände“. In der Hamburger Forscher-werkstatt hängt eine Regelliste bereits an der Eingangstür.

Gleiche Bildungschancen

Neben den Fortbildungen bietet das Netzwerk Materialien an: In Broschüren, im Internet und auf sogenannten Entdeckungs- und Forschungskarten finden Lehrkräfte und Grundschulkinder viele Ideen für Experimente zu Themen wie Luft oder Zahlen. „Das ‚Haus der kleinen Forscher‘ liefert jedoch nie vorgefertigte Lösungen“, betont Bettina Schmidt. Stattdessen sollen die Kinder den Antworten auf ihre Fragen selbst auf die Spur kommen. Dann merken sie sich nicht nur das Ergebnis besser, sondern können sich auch über Erfolge freuen. Das macht innerlich stark. Besonders wichtig ist das Angebot für Kinder aus bildungsfernen Familien. Das merkt auch Bettina Schmidt in Hamburg-Kirchdorf: „Die Schülerinnen und Schüler haben zu 90 Prozent einen Migrationshintergrund und ein hoher Anteil empfängt Transferleistungen wie Hartz IV“, erzählt sie. „Während in Bildungsfamilien viele Kompetenzen nebenher vermittelt werden, fehlt hier oft grundlegendes Wissen.“ Die Initiative setzt sich somit auch für Chancengleichheit ein. Nicht jeder müsse ein Ingenieur werden, meint Bettina Schmidt. „Doch durch die Forschungsprojekte können die Kinder selbst herausfinden, ob ihnen Naturwissenschaften überhaupt Spaß machen.“


Wie gut das ankommt, zeigt der Erfolg der Initiative, die ihr Netzwerk stetig ausbaut. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel experimentierte bereits gemeinsam mit Berliner Kindern. Und die Forscherwerkstatt wurde 2011 mit dem Hamburger Bildungspreis ausgezeichnet. Auch Schülerin Enisa erzählt begeistert: „Hier gibt es so viel zu lernen!“


Nele Langosch, Journalistin und Diplom-Psychologin


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