Was hat Sie dazu bewogen, sich verstärkt für den MINT-Lehrkräftenachwuchs einzusetzen? Gollub: Wir erhalten seit dem Jahr 2010 verstärkt Rückmeldungen von Schulleitern aus unserem Netzwerk, dass es immer schwieriger wird, entsprechende Fachlehrerstellen zu besetzen. Das bestätigt auch eine Umfrage, die wir 2011 gemacht haben. Demnach haben zwei Drittel der damaligen Netzwerk-Schulen massive Probleme bei der Rekrutierung von Lehrkräften für MINT-Fächer. Aus unserer Sicht ist der Mangel an geeigneten Lehrkräften in ganz Deutschland ein Thema, das Sorge bereitet. Daraufhin haben wir 2013 ein fünfjähriges Programm aufgelegt, mit dem wir Schülerinnen und Schüler für ein MINT-Lehramtsstudium informieren und begeistern möchten.
Was sind die Ziele dieses Programms?
Gollub:Grundsätzlich möchten wir dem Mangel an Fachlehrkräften entgegentreten. Außerdem geht es uns darum, eine qualitativ hochwertige Arbeit im schulischen MINT-Bereich zu sichern und die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Schulen zu stärken. Und wir möchten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Klarheit verschaffen, wie ein Lehramtsstudium aufgebaut ist und wie ihr beruflicher Alltag später aussieht.
Und wie sieht der genaue Ablauf aus?
Gollub:Die Schülerinnen und Schüler aus der Oberstufe – bisher waren es insgesamt zirka 300 – lernen innerhalb zweier Jahre bei sechs eintägigen Workshops didaktische Konzepte kennen. Danach entwerfen sie eigene Unterrichtssequenzen, die an der heimischen Schule und an einer Partnerschule erprobt werden. Zum Abschluss wird ein außerschulischer Lernort besucht. Diese Erfahrungen helfen, sich auf fundierter Basis für oder gegen ein Lehramtsstudium im MINT-Bereich zu entscheiden. Inhaltlich werden die Jugendlichen von Didaktikprofessoren der mitwirkenden Hochschulen betreut.
Ein Problem sind auch die relativ hohen Abbrecherquoten in den MINT-Fächern, oder?
Gollub:Ja, ein wichtiges Ziel ist es, die Zahl der Studienabbrüche zu minimieren. Die Abbruchquote liegt in den MINT-Lehramtsfächern ähnlich hoch wie in den technischen Fächern. Bessere Informationen und erste eigene Erfahrungen in der Lehrtätigkeit können daran etwas ändern.
Welche Rückmeldungen bekommen sie von Schülerseite?
Gollub:Ich spüre immer große Begeisterung, wenn es um die Praxis und das eigene Ausprobieren geht. Wenn die Jugendlichen zum Beispiel den Reinraum, einen Ort mit sehr geringem Anteil an luftgetragenen Teilchen, einer Forschungseinrichtung nutzen können, dann spüren viele: Das ist etwas Außergewöhnliches! Dazu kommen soziale Erfahrungen: Viele empfinden es als Weiterentwicklung und Stärkung, vor fremden Gruppen zu sprechen und selbst probeweise zu unterrichten. Das sind wichtige Erfahrungen und häufig auch Erfolgserlebnisse, die den Beteiligten einen enormen Motivationsschub bringen.
Kommt es auch vor, dass sich die Jugendlichen gegen ein Lehramtsstudium entscheiden?
Gollub:Ja, manchmal kommt auch die Rückmeldung: Das Programm war cool, aber ich sehe darin keine Perspektive für mich. Ich finde, auch in solchen Fällen ist viel erreicht, dann haben wir einen wichtigen Klärungsprozess angestoßen. Und der spart Betroffenen Geld, Ressourcen und den Frust, der mit einem eventuellen Studienabbruch einhergehen kann.
Wenn jemand an einem solchen zweijährigen Förderprogramm teilnimmt, ist das nicht sehr zeitaufwendig – das alles läuft ja parallel zum regulären Unterricht?
Gollub:Oft sind es ja leistungsstarke Schülerinnen und Schüler, die etwas Unterricht verpassen, das aber gut kompensieren. Das lässt sich vergleichen mit Jugendlichen, die eine Sportart leistungsorientiert und zeitintensiv betreiben.
Das Programm zur Förderung des Lehrernachwuchses ist eines von vielen Modulen, mit denen das Excellence-Schulnetzwerk hervorragende Leistungen im MINT-Bereich fördert. Was bringt denn eine Mitgliedschaft im Netzwerk den Schulen und Lehrkräften?
Gollub: Die Schulen profitieren vom Austausch innerhalb unseres bundesweiten MINT-Excellence-Netzwerks. Dabei zeigen wir auch neue schulische Entwicklungsmöglichkeiten auf. Außerdem besteht die Möglichkeit, an Veranstaltungen anderer Netzwerkschulen zu partizipieren. Für Schülerinnen und Schüler gibt es eine Vielzahl von MINT-EC-Camps, für Schulleitungen Workshops und für Lehrkräfte Fortbildungen sowie sogenannte MINT-EC-Themencluster, in denen Lehrkräfte verschiedener Schulen zusammenarbeiten. Zusätzlich bieten wir Kontakte und Projekte mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft.
Wie können Schulen denn in das MINT-Excellence-Netzwerk aufgenommen werden bzw. das Label MINT-EC-Schule erhalten?
Gollub:Bei einem jährlichen Bewerbungsverfahren legen die Schulen dar, was sie im MINT-Bereich leisten. Es gibt zwei Möglichkeiten: Die erste ist eine vierjährige Vollmitgliedschaft für hervorragend aufgestellte Schulen. Die zweite Option ist eine Anwartschaft für Schulen, die im MINT-Bereich auf einem sehr guten Weg sind. Falls Schulen eine Bewerbung für MINT-EC erwägen, raten wir oft: Redet doch mal mit einer Netzwerkschule in eurer Region. Aber selbstverständlich informieren wir auch jede interessierte Schule gern selbst über das Bewerbungsverfahren (Ansprechpartner siehe Infokasten I).
Ihr Ziel sind Spitzenförderung und höchste Standards im schulischen MINT-Bereich. Bieten Sie auch Angebote für Schulen, die sich nicht unbedingt auf Spitzenniveau befinden, aber dennoch ihr MINT-Profil verbessern?
Gollub:Schulen aller Schultypen, die erste Schritte unternommen haben, ihre Qualität im MINT-Bereich zu steigern, können sich zum Beispiel für die ebenfalls von den Arbeitgeberverbänden und weiteren Partnern getragene Ehrung „MINT-freundliche Schule“ bewerben. Nicht selten motiviert dieser erste Erfolg Lehrkräfte und Schulleitung, den Weg konsequent weiter zu gehen.
Auskünfte zum Aufnahmeverfahren für das nationale Excellence-Schulnetzwerk MINT-EC bei Christina Rowek, Tel. (030) 40 00 67; E-Mail rowek(at)mint-ec.de.
Weitere Informationen unter www.mint-ec.de.
Das Interview führte René de Ridder, Redakteur, Universum Verlag