Bei einem Nachwuchsprogramm können sich Schülerinnen und Schüler selbst als Lehrkräfte in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ausprobieren. Ziel des MINT-Excellence-Netzwerks ist es, Jugendliche an den Lehrerberuf heranzuführen.
Kadie Fobie und Luise Harst stehen am Lehrerpult und warten. Die Jungen und Mädchen der 5. Klasse des Jülicher Gymnasiums Haus Overbach (NRW) kommen nur langsam zur Ruhe. In der letzten Stunde haben sie einen Test geschrieben und nun steht „Bio“ auf dem Stundenplan. Ihre Lehrerin, Anja Groth, hat sich in eine Ecke des Klassenraums zurückgezogen, denn heute übernehmen die 15-jährigen Schülerinnen Kadie und Luise den Unterricht. „Wie sollen wir die beiden denn ansprechen?“, wendet sich ein Junge fragend an Groth. „Ihr könnt uns ruhig duzen“, antwortet ihm Kadie selbstbewusst.
Die beiden jungen Frauen besuchen normalerweise die zehnte Klasse des Aachener Einhard-Gymnasiums, der Partnerschule von Haus Overbach. Heute unterrichten sie im Schüleraustausch in Jülich, denn sie nehmen an dem zweijährigen Programm „MINT-Lehramtsnachwuchsförderung“, kurz „MiLeNa“, teil. Es wurde 2013 vom „Nationalen Excellence-Schulnetzwerk MINT-EC“ ins Leben gerufen und wird nun zum zweiten Mal angeboten. Das Programm wirbt für das Lehramtsstudium in den Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT). Durch die Möglichkeit, sich als Lehrkraft in einer Partnerschule auszuprobieren und an speziellen Didaktik-Workshops in der Uni teilzunehmen, soll eine bewusste Entscheidung für oder gegen ein Lehramtsstudium ermöglicht werden. So will das MINT-EC-Schulnetzwerk die Zahl der Studienabbrüche minimieren und die Zufriedenheit der künftigen Lehrkräfte fördern. Finanziert wird das „MiLeNa“-Programm durch die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung.
„In meiner Klasse können einige nicht verstehen, wieso ich mir die zusätzliche Arbeit mache und Unterricht für jüngere Kinder konzipiere“, sagt Luise. Zwar können die „MiLeNa“-Kurse auch für das Abitur und für das MINT-EC-Zertifikat angerechnet werden, doch das ist nicht für alle Teenager Grund genug, sich zu engagieren. Kadie und Luise sind sich jedoch einig, ihnen „bringt das Programm was“! „Im Uni-Workshop geht es zum Beispiel darum herauszuarbeiten, wodurch sich guter Unterricht auszeichnet“, erklärt Kadie. „Wir lernen, verschiedene Medien einzusetzen und auch wie man sich gut und verständlich ausdrückt. Ich denke, das kann ich immer gebrauchen – egal für welchen Studiengang ich mich später entscheide.“ Ob es ein MINT-Lehramtsstudium sein wird, weiß sie noch nicht: „Wir haben ja erst angefangen. Aber ich hatte mir den Lehreralltag schon etwas leichter vorgestellt. Man muss doch viel vorbereiten und es ist ziemlich laut.“
Und wie kam der erste Unterrichtsversuch von Kadie und Luise nun bei Anja Groth und den Kindern an? Die Jungen und Mädchen der 5. Klasse sind begeistert. Bei der Feedback-Runde, die Groth am Ende der Stunde anregt, schießen die Hände nur so in die Höhe. „Ihr könnt gut erklären“, lobt einer. Nur ein Mädchen aus der letzten Reihe wünscht sich, dass die beiden das nächste Mal etwas lauter sprechen.
Auch Groth ist sehr zufrieden. Sie hat sich nur ein paar Anmerkungen notiert – etwa mehr Zeit für die einzelnen Arbeitsaufträge einzuplanen oder die Gruppeneinteilung möglichst einfach zu handhaben. Diese Profitipps nehmen Kadie und Luise gerne für ihren nächsten Unterrichtsversuch an.
Ricarda Gerber, Freie Journalistin und Diplom-Pädagogin
So auch Luise und Kadie, die der Klasse inzwischen Fotos von Wiesen mit blühenden und Früchte tragenden Bäumen auf dem Whiteboard präsentieren. „Um was könnte es in dieser Stunde gehen?“, fragt Luise. „Bitte nehmt euch gegenseitig dran!“ Die Kinder machen gut mit und kommen schnell auf das Thema der Stunde: Bienen. „Richtig“, loben die beiden Jung-Lehrerinnen. Die Klasse hat schon einiges an Vorwissen. Und das muss ein Junge dringend loswerden: „Die Bienen sammeln den Nektar aus der Blüte“, ruft er dazwischen. „Du sollst nicht immer reinrufen!“, mahnt Groth und unterstützt Kadie und Luise dabei, die übereifrigen Kinder wieder zur Ruhe zu bringen.
Als Nächstes zeigen die jungen Frauen einen kurzen Film zum sogenannten Schwänzeltanz der Biene. An der Tafel erklären sie, wie diese sich am Stand der Sonne orientiert, um den Standort der Nahrungsquelle mit Hilfe des Schwänzeltanzes an die Tiere im Bau weiterzugeben. „Können Bienen auch mal was vergessen oder sich falsch erinnern?“, fragt ein Kind spitzfindig. „Ja, das kann passieren“, antwortet Kadie, ohne lange nachzudenken. „Wenn die Biene zu viele Eindrücke auf dem Rückflug zum Bau sammelt, zum Beispiel wenn sie über eine verkehrsreiche Straße oder gedüngte Felder fliegt, kann es sein, dass ihr die Entfernung zwischen Bau und Futterquelle viel länger vorkommt, als sie tatsächlich ist. Dann vermittelt sie durch ihren Tanz einen falschen Standort.“
Luise und Kadie haben sich offensichtlich bestens auf den Unterricht vorbereitet. Sie haben außerdem noch ein Arbeitsblatt konzipiert, das sie nun in Gruppenarbeit bearbeiten lassen, während sie selbst durch die Klasse gehen und weitere Fragen beantworten.
„Bis zum Jahr 2025 werden etwa die Hälfte der bisherigen MINT-Lehrerinnen und Lehrer aus dem Schuldienst ausgeschieden sein. Wenn sich bis dahin nicht mehr junge Leute für ein Lehramtsstudium in den mathematisch-natur-wissenschaftlichen Fächern entscheiden, wird es einen deutlichen Mangel an Fachlehrerinnen und -lehrern geben“, erläutert Jana Zielsdorf, Pressesprecherin des Excellence-Netzwerks. Im ersten Durchgang im Zeitraum von 2013 bis 2015 haben insgesamt 36 Schülerinnen und Schüler am „MiLeNa“-Programm teilgenommen. „Nicht alle haben sich dann für ein Lehramtsstudium in den MINT-Fächern entschieden“, resümiert Zielsdorf, aber die 60 Prozent, die ein solches Studium aufgenommen haben, sind motiviert und wissen, worauf sie sich einlassen.“ Mittlerweile bieten zehn MINT-EC-Schulen in Deutschland ihren Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit, einmal in den Lehreralltag hineinzuschnuppern.
„Bei uns läuft das so, dass wir das Programm im Unterricht vorstellen. Wer sich dann dafür interessiert, muss sich schriftlich bewerben“, erklärt Groth das Verfahren. Sie unterrichtet Biologie, Sport und Medizintechnik am Gymnasium Haus Overbach und ist die dortige Koordinatorin des „MiLeNa-Programms“. „Aus den Bewerbungen werden in der Lehrerkonferenz maximal zehn Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgewählt“, so Groth weiter. Dann veranstaltet die engagierte Lehrerin einen Elternabend, denn natürlich müssen die Eltern dem Ganzen zustimmen. Schließlich besuchen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Rahmen des Programms nicht nur die Aachener Partnerschule, sondern auch Didaktik-Workshops an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und sie nehmen an einem gemeinsamen Wochenende an einem außerschulischen Lernort teil.
Das bedeutet Mehrarbeit – nicht nur für die Jugendlichen! Auch die verantwortlichen Lehrkräfte investieren Zeit und Energie in das Programm. „Doch der Aufwand lohnt sich“, davon ist Groth überzeugt. „Der Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen gibt wertvolle Impulse für die eigene Arbeit und es macht Spaß, zu sehen, wie sich die Schülerinnen und Schüler für die MINT-Fächer begeistern.“