Emad Korkis, Kerschensteinerschule Wiesbaden

Emad Korkis, Kerschensteinerschule Wiesbaden

Wie Integration gelingen kann
Kerschensteinerschule Wiesbaden, Hessen

Das Seil windet sich auf dem Boden des Klassenraums. An der symbolischen Lebenslinie markiert ein Schüler aus Somalia einschneidende Lebensstationen. Vier Rosen stehen für eine schöne Kindheit, Steine stehen für den Umzug in eine Stadt und den Tod des Vaters. "Das war, wenn ich acht war." - "Als ich acht war", korrigiert Emad Korkis. Mithilfe des Seils bringt er die Schülerinnen und Schüler zum Sprechen. Spielerisch verbessert er grammatikalische Fehler, lässt seine Schützlinge die richtige Aussprache üben und Wörter an die Tafel schreiben.
Der Lehrer mit syrischen Wurzeln unterrichtet seit September 2015 Flüchtlinge an der Wiesbadener Berufsschule im Fach Kunst. "Ich beschäftige sie mit Kunst und will, dass sie ins Gespräch kommen. Heimweh und Unsicherheit - was in den Köpfen der jungen Flüchtlinge vorgeht, kennt Korkis aus eigener Erfahrung. Er selbst verließ Syrien vor sieben Jahren und flüchtete nach Deutschland. Damals war er 28 Jahre alt und hatte einen Studienabschluss der Akademie der Schönen Künste Damaskus im Gepäck. "Ich wollte mein Land nicht verlassen, ich musste". Damals gab ihm seine Kunst Energie und Sicherheit, erinnert er sich. Diese Erfahrung möchte er auch den Jugendlichen vermitteln, deren Flucht nach Deutschland erst kurze Zeit zurückliegt.
Besonders gravierend wirkt sich Lärm auch auf das Verstehen einer Sprache aus. Selbst wenn die Fremdsprache sehr gut beherrscht wird, kommt es zu erheblichen Problemen beim Verstehen, wenn Hintergrundgeräusche vorhanden sind. In den meisten Studien zur Wirkung von Lärm und Nachhall auf das Sprachverstehen wurde nur das Erkennen von Einzelwörtern oder Silben geprüft.


In acht Intensivklassen für 16- bis 18-Jährige bereitet die Kerschensteinerschule etwa 90 Schülerinnen und Schüler auf den Regelunterricht vor. In rund 20 Stunden pro Woche lernen sie Deutsch. 17 der gut 130 Lehrkräfte an der Schule unterrichten in den Flüchtlingsklassen. Auf der Warteliste stehen derzeit etwa 70 Jugendliche, doch die Zahlen ändern sich beinahe täglich, berichtet Abteilungsleiter Peter Eickelmann, der auch sagt: "Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen." Trotzdem gelten die "Neuen" als engagiert und diszipliniert. Deutschlehrerin Annemarie Brinskelle zieht eine positive Zwischenbilanz, die jungen Flüchtlinge sind motivierter und ehrgeiziger als ihre Altersgenossen. "Die saugen alles auf wie ein Schwamm." Und wenn sie mal revoltieren, sieht die Lehrerin das als gutes Zeichen: "Dann merken wir, dass sie angekommen sind."  

Grundschule Bierstadt Wiesbaden

Grundschule Bierstadt Wiesbaden

Grundschule Bierstadt Wiesbaden, Hessen
Nach der Pause trudeln fünf Kinder der Wiesbadener Grundschule Bierstadt in Hannah Mayers Klassenraum ein. Auf dem Boden verteilt liegen Bildkärtchen. "Die Oma", sagt der elfjährige Amir und stellt sich vor eines der Kärtchen. Reihe für Reihe hüpft der kleine Syrer weiter und landet schließlich vor dem Bildchen eines Baums. Wort für Wort bildet er den Satz: "Die Oma - sitzt - vor - dem Baum." Den soll Amir dann auch aufschreiben. Mit allen Sinnen sollen ihre Schülerinnen und Schüler Deutsch lernen, erklärt Lehrerin Hannah Mayer den handlungsorientierten Unterricht.

Amir ist eines von drei Kindern aus Flüchtlingsfamilien, die die Grundschule besuchen. In jeder ersten und dritten Stunde trifft der junge Deutsch-Seiteneinsteiger auf eine Handvoll mehrsprachig aufgewachsener Kinder. "Die größte Herausforderung ist der unterschiedliche Sprachstand", sagt die Lehrerin. Zu Beginn sei es schwierig, die nicht nur wegen ihrer fremden Sprache oft verschüchterten Kinder zum Sprechen zu bringen. Mit der Zeit tauen sie vor allem in der kleinen Sprachgruppe auf. Nach etwa einem halben Jahr sei ihr Wortschatz groß genug, um sich im Alltag zu verständigen.

Nach der Sprachstunde geht es für Amir und die anderen zurück in die gewohnte Klasse. Zurückhaltender, aber gut integriert seien die Seiteneinsteiger dort, beschreibt Konrektorin Barbara Aschenbrenner. Das Miteinander scheint in ihrer vierten Klasse, einer Inklusionsklasse, kein Problem zu sein. "Wir haben uns am Anfang mit Händen und Füßen verständigt", sagt sie.

Noch stemme die Schule die Betreuung der Flüchtlingskinder. Denn der große Zulauf blieb nach den Sommerferien zunächst aus, so Barbara Aschenbrenner. Hannah Mayer spezialisiert sich mit Fortbildungen auf die Sprachstunden, die sie als eine von zwei Lehrkräften übernimmt. Ehrenamtlich hilft eine Mutter mit, die in ihrem Heimatland Iran selbst Lehrerin war. In Zukunft rechnet Konrektorin Aschenbrenner aber mit mehr fremdsprachigen Kindern: "Es ist ein Ausprobieren und Machen." 

*Der Name Amir ist geändert. 

Redakteur René de Ridder besuchte die Lambertus Schule und die Theodor-Heuss-Schule.

Über die Kerschensteinerschule und die Grundschule Bierstadt berichtete die freie Journalistin Marion Ziegler.

 

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Gemeinsames Mittagessen an der Lambertus Schule Oelde

Gemeinsames Mittagessen an der Lambertus Schule Oelde

Lambertus Schule Oelde, Nordrhein-Westfalen

Wie sehr Entfernungen schrumpfen, sobald Menschen vor Krieg flüchten, ist an der Lambertus Schule hautnah zu erleben. Tür an Tür leben Flüchtlingsfamilien: Die Kinder gehen aus der Haustür und stehen gleich vor dem Eingang der Grundschule im westfälischen Oelde, Ortsteil Stromberg.

"Nachdem wir wussten, dass Flüchtlingskinder zu uns kommen, habe ich die Eltern über die positive Einstellung des Kollegiums informiert", erzählt Rektor Franz-Josef Grünebaum. Bisher gab es keine negativen Rückmeldungen, ganz im Gegenteil: Neben dem im Ort schon bestehenden Initiativkreis "Eine Welt" boten viele Eltern ihre Unterstützung an. So begleiten alteingesessene Bürger die Neuankömmlinge bei Ämterbesuchen, organisieren eine Kleiderstube oder ein gemeinsames Grillen. Umgekehrt helfen Flüchtlinge bei der Reparatur von Schulfahrrädern, unterstützen bei der Organisation eines ADAC-Turniers sowie eines Zirkusprojekts. "Wir suchen nach Möglichkeiten, bei denen man etwas gemeinsam tun kann, um Integration zu fördern", beschreibt Franz-Josef Grünebaum. Ein weiteres Projekt betrifft den Schulgarten - hierher führen die Notausgänge aus den Flüchtlingswohnungen. Mit den Flüchtlingen soll ein gemeinsames Konzept der Nutzung und Pflege des Gartens erarbeitet werden - die bisherigen Zäune könnten dann entfernt werden.
Dass sich mit gutem Willen ebenfalls sprachliche Barrieren überwinden lassen, zeigt das Dolmetscher-Projekt. "Nach einer Anfrage per Elternbrief können wir auf mehr als zehn Eltern zurückgreifen, die auch ganz spontan bei sprachlichen Problemen helfen", freut sich der Schulleiter. Mittlerweile gibt es schon Kinder, die dank eines schulischen Sprachkurses sowie fächerübergreifender Sprachförderung so große Fortschritte gemacht haben, dass sie für ihre Familien dolmetschen können.

Beim Spracherwerb spielt auch die Teilnahme an der Offenen Ganztagsschule eine wichtige Rolle, betont Konrektorin Claudia Lutterbeck: "Die Kinder essen gemeinsam, bekommen Unterstützung bei den Hausaufgaben und können an Sport-, Spiel- und Kreativangeboten teilnehmen. Nach der Schule gibt es viele weitere Gelegenheiten, in denen die Kinder sich mit der neuen Sprache vertraut machen können." Von Integrationsproblemen kann Franz-Josef Grünebaum also nichts berichten: "Wir sind sehr zufrieden."

Die Lambertus Schule Oelde erhielt unter anderem für ihre Ansätze in der Flüchtlingsintegration den Schulentwicklungspreis "Gute gesunde Schule" 2015 der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen.  

Thomas Bührer, Leiter der Theodor-Heuss-Schule in Lahr

Thomas Bührer, Leiter der Theodor-Heuss-Schule in Lahr

Theodor-Heuss-Schule Lahr, Baden-Württemerg

In der Weltkarte stecken 80 bunte Reißzwecken. Jede Nadel verweist auf ein Herkunftsland - die Schülerschaft der Theodor- Heuss-Schule ist vielfältig. Das liegt nicht an den steigenden Flüchtlingszahlen: Die aktuell ankommenden Kinder aus Flüchtlingsfamilien werden aufgrund einer Entscheidung der Kommunalpolitik in einer anderen Schule betreut. Vielmehr prägt Migration bereits seit vielen Jahren den Alltag in der Lahrer Werkrealschule.

Grund: Bis in die 1990er Jahre lag in Lahr das Hauptquartier der kanadischen NATOStreitkräfte. Nach dem Abzug der Soldaten zogen viele russische Spätaussiedler, Türken und Kurden in die Kasernen ein. Am Rande dieses Wohnquartiers liegt die Theodor-Heuss-Schule. "Ein Migrationsanteil von 70 Prozent in der Schülerschaft ist für uns Normalität. Aber wir heißen alle willkommen", beschreibt Rektor Thomas Bührer die aufgeschlossene Haltung von Schulleitung und Kollegium.

So hat die Sprachvermittlung an der Schule eine besondere Bedeutung. "Deutsch bis zum Abwinken", nennt es Thomas Bührer. Dabei setzt die Schule auch auf die Methode des Lernateliers. Sie ermöglicht den Kindern, in eigenem Tempo und auf individuellem Niveau zu lernen, während eine Lehrkraft beratend zur Seite steht. Die Vorteile der Stillarbeit sind weniger störende Ablenkungen und mehr Fördermöglichkeiten für den Einzelnen.

Von 1993 bis 2007 gab es an der Theodor- Heuss-Schule Vorbereitungsklassen. Darin wurden Schülerinnen und Schüler alphabetisiert und für Regelklassen fit gemacht. Neben zwei täglichen Stunden im geschützten Klassenverband wurden die Neuankömmlinge in den anderen Fächern rasch ins "Sprachbad" geworfen. Ziel: den Kontakt zu deutschen Gleichaltrigen anzukurbeln. Deutschlehrerin Judith Schürmer, die lange in den Vorbereitungsklassen unterrichtet hat, empfiehlt, genau zu schauen, was ein Kind schon gelernt hat und Fortschritte gut zu dokumentieren, um zu motivieren.

Und wie lässt sich darüber hinaus Integration fördern? Die Lehrkräfte unternahmen regelmäßig Ausflüge in die Stadt. Ganz lebenspraktische Fragen standen im Vordergrund: "Wo sitzen die Sportvereine? Wozu ist welches Amt gut? In welchen Geschäften lassen sich bestimmte Lebensmittel kaufen?", erzählt Lehrerin Christine Kulmus vom kleinen Einmaleins der Integration. Außerdem wurden kulturelle Regeln und Normen des Zusammenlebens vermittelt, etwa das westliche Rollenverständnis zwischen Mann und Frau, der Umgang mit Zeit. Zum Einstieg fragte die Lehrerin gern in die Runde: Wie war das bei Euch zu Hause, auf dem Schulweg oder in der Schule? Ein vielzitiertes Sprichwort aus Afrika lautet: Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen. In diesem Sinn hat sich die Theodor-Heuss-Schule ein breites Netzwerk von Bildungspartnern aufgebaut. Dazu zählen sämtliche städtische und konfessionelle Einrichtungen der Kinder- und Jugendförderung, die Agentur für Arbeit, Handwerkerverbände, die Caritas und diverse örtliche Wirtschaftsunternehmen.  

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