Im Zusammenhang mit dem rechtsgültigen Anspruch auf eine gemeinsame, inklusive Beschulung hat auch der Auftrag des Schulsports eine neue Qualität erhalten. Schülerinnen und Schüler mit den unterschiedlichsten Förderbedarfen - im Englischen treffender mit "special need" bezeichnet - erfordern ein verändertes Denken, Planen und Handeln im Hinblick auf einen erfolgreichen Sportunterricht. Fragt man Sportlehrkräfte nach ihrer Sicht auf einen inklusiven Unterricht, werden immer wieder folgende Problempunkte genannt:
Die Universalmethodik hat ausgedient
Ein guter inklusiver Sportunterricht sollte vor allem eines leisten: Lern- und Erfahrungsgelegenheiten bieten, die allen Schülerinnen und Schülern einer Klasse Förderimpulse im Hinblick auf ihre motorische, kognitive und emotionale Kompetenzentwicklung liefern. Mit Blick auf die durch Inklusion erweiterte Heterogenität verbietet sich damit, von einer "Universalmethodik", also einer Aufgabe für alle, auszugehen. Das didaktische Grundprinzip muss dagegen lauten: Differenzierung und Individualisierung bei weitgehender Wahlfreiheit zu einem Aufgabenrepertoire. Wie kann das aussehen?
"Inclusion Spectrum" bietet erste Orientierung
Das von den Sportwissenschaftlern Pam Stevenson und Ken Black 2011 entwickelte "Inclusion Spectrum" bietet eine erste Orientierung. Dessen Systematik umfasst die prinzipiellen Gestaltungsformen in einer Spanne zwischen für alle Beteiligten offenen sportlichen Handlungsangeboten (open activities) über parallele und unterschiedlich gestaltete Aufgabenstellungen (‚modified‘ und ‚parallel activities‘) bis hin zu zeitweise segregierenden, das heißt trennenden, sportlichen Aufgabensettings (‚separate activities‘). Es sollten also nicht sofort Bedenken aufkommen, wenn zum Beispiel ein Schüler mit körperlichen Einschränkungen gelegentlich andere Bewegungs- und Übungsaufgaben erhält, die seinen motorischen Möglichkeiten entsprechen. Wichtig ist jedoch, dass Segregierung nicht zum dominanten Planungsprinzip wird.
Sportunterricht planen mit dem STEPS-Konzept
Das Prinzip der Modifikation sportlicher Regeln und Aufgabenstellungen dürfte die zurzeit am weitesten ausformulierte Planungsleitlinie für einen inklusiven Sportunterricht darstellen. Das STEPS-Konzept bezeichnet hierfür diejenigen Anpassungsbereiche (Space - Task - Equipment - People - Speed), die bei der Planung des inklusiven Sportunterrichts einbezogen werden können. Durch gezielte Anpassung von Spielfeldbereichen (Space) durch Vergrößerung, Verkleinerung und Einteilung in Zonen lässt sich ein Nachteilsausgleich für Spielerinnen und Spieler mit Bewegungseinschränkungen erzielen. Das könnte bedeuten, gleichstarke Spieler spielen in Zonen gegeneinander oder aber, dass starke Spieler schwächere in einer Zone unterstützen. Die gestellten Bewegungsaufgaben (Tasks) sollen den Handlungsmöglichkeiten so angepasst werden, dass alle Beteiligten erfolgreich sein können und die Partizipation aller gewährleistet ist.
So entscheiden beispielsweise die Schülerinnen und Schüler selbst, ob sie den Ball einhändig oder beidhändig fangen oder ob sie den Ball mit der Hand stoppen, bevor sie ihn mit dem Fuß weiterspielen möchten. Unterschiedlich große Wurf- oder Schussziele stehen dabei zur Auswahl, um Punkterfolge zu erzielen. Es sollte in Erwägung gezogen werden, ob nicht mehrere Wurf-/Schussziele angeboten werden, die nicht nur am Ende eines Spielfelds platziert sind. Auch unterschiedliche Sport- und Ausrüstungsgegenst.nde (Equipment) unterstützen eine Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler, wobei die Beschaffenheit von Bällen und Geräten zu berücksichtigen ist (Größe, Griffigkeit, Kontrollierbarkeit, visuelle und akustische Wahrnehmbarkeit, Beschaffenheit und Höhe der Ziele bei Zielschussspielen, Einsatz von Pool-Nudeln bei Fang- und Abschlagspielen für Bewegungseingeschränkte, etc.). Besondere Sorgfalt bei der Unterrichtsplanung sollte beim inklusiven Sportunterricht auf die Zusammenstellung von Gruppen und Teams (People) gelegt werden.
Sorgfältig Teams zusammenstellen
Hierbei kann die Chance genutzt werden, dass sich die Schülerinnen und Schüler untereinander helfen und unterstützen. Das wiederum dient der Entwicklung wesentlicher sozialer Kompetenzen und erfüllt somit eine wichtige Aufgabe des Schulsports. Jedem angemessen Zeit zur optimalen Umsetzung einer Bewegungstechnik zu lassen, kann erfordern, die Bewegungsgeschwindigkeit (Speed) zu reduzieren. Zum Beispiel bei Lauf- oder Wurfbewegungen, die ohne sofortige Behinderung durch Gegenspieler ausgeführt werden können.
Übrigens: Auf kompetitive Wettspiele muss im inklusiven Sportunterricht nicht verzichtet werden. Ergänzend zu den im STEPS-Konzept beschriebenen Modifikationen und Regelanpassungen hat der Wiener Sportpädagoge Michael Kolb (2012) unter anderem gefordert, dass körperintensive Verteidigungshandlungen in den Sportspielen durch symbolische Handlungen ersetzt werden (z. B. muss der Ballführende den Ball abgeben, wenn der gegnerische Spieler diesen bereits leicht mit der Hand berührt). Erfolgreicher inklusiver Sportunterricht erfordert einen Unterricht, der die Bedingungen eines nachhaltigen individuellen Lernens im Bereich von Bewegung, Spiel und Sport erfüllt. Dass dabei Barrierefreiheit und eine den Herausforderungen gewachsene Lehrerschaft eine Voraussetzung bilden, scheint selbstverständlich zu sein.
Die Realität zeigt jedoch, dass Schule und Bildungspolitik hier noch einen weiten Weg vor sich haben. Eine Reform der Sportlehrerbildung, ein angemessenes Unterstützungssystem (u. a. multiprofessionelle Lehrteams) und eine wissenschaftlich begleitete Unterrichtsentwicklung werden entscheidend sein, um den Auftrag der Behindertenrechtskonvention erfolgreich umzusetzen. Der Sportunterricht könnte dazu einen wichtigen und unersetzlichen Beitrag leisten.
Prof. Dr. Georg Friedrich leitet den Bereich Sportdidaktik an der Universität Gießen.
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