Fotos: Michael Bamberger

"Personale Kompetenzen und Ressourcen stärken"

Gesundheitsprävention ist an baden-württembergischen Universitäten fester Bestandteil der Lehramtsausbildung. DGUV pluspunkt sprach mit Dr. Sebastian Jünger, Universität Freiburg, über Sorglosigkeit, Selbstverantwortung und warum das Einzelkämpfertum in Schulen überwunden werden sollte.

 

 

Lehrkräfte tragen ein vergleichsweise hohes Risiko, wegen arbeitsbedingter psychischer Belastungen zu erkranken. Ist angehenden Lehrerinnen und Lehrern dies eigentlich bewusst?

Die Einstellung vieler Studierender ist eher: Ich bin jung, fit und will zeigen, was ich drauf habe. Bei unseren Veranstaltungen informieren wir über Studien zur Lehrergesundheit und stellen Fallgeschichten von Lehrkräft en vor, die an Burnout erkrankt sind. Die Frage ist aber, ob die Studierenden dieses Wissen auch auf sich selbst anwenden. Wir beobachten zudem, dass die Anmeldungen für Seminare zur Lehrergesundheit eher schleppend laufen. Viele schieben dieses Thema eben gern vor sich her.

 

Auf welche Weise bereitet man künftige Lehrkräfte auf arbeitsbedingte psychische Belastungen vor?
Das Modul Personale Kompetenz bietet neben einer Überblicksvorlesung viele praxisnahe Seminare an. Die Teilnahme ist für Studierende verpflichtend, seitdem die Prüfungsordnung für das gymnasiale Lehramt in Baden-Württemberg 2010 geändert wurde. Unsere Trainings sollen personale Kompetenzen und Ressourcen stärken und Strategien für den Umgang mit berufsbezogenen Belastungen vermitteln. Neben einer guten Kommunikation mit Schülerinnen, Schülern, Eltern und Kollegen gehört es auch dazu, die eigene Lebensführung unter die Lupe zu nehmen. Für Lehrkräfte wichtig, weil beispielsweise fehlende Lehrerarbeitsräume in Schulen die räumliche und emotionale Trennung zwischen Arbeit und Privatleben erschweren.

 

Wie sind die Angebote zur Stärkung der personalen Kompetenzen ins Lehramtsstudium integriert?
Uns ist wichtig, dass die Veranstaltungen begleitend zum Schulpraxissemester besucht werden. Während dieser Zeit machen die Studierenden intensive Erfahrungen mit dem Schulalltag und loten aus: Wie gut bin ich für diesen Beruf geeignet? Das Praxissemester ist ein guter Zeitraum, um sich verstärkt mit Beziehungsgestaltung, Selbstorganisation, Stimmeinsatz, Konfliktmanagement, körperlicher Präsenz und Zeitmanagement zu beschäftigen.

Belastung und Beanspruchung

  • Der Begriff der psychischen Belastung bezeichnet die Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken.
  • Die psychische Beanspruchung hingegen zielt auf die zeitlich unmittelbare, individuelle Reaktion auf vorliegende psychische Belastungen im Menschen. Diese kann bei gleichen Belastungen sehr unterschiedlich ausfallen. Denn die Beanspruchung ist von den individuellen Leistungsvoraussetzungen und Ressourcen des Menschen abhängig.
  • Hierzu zählen Qualifizierung, Erfahrungen, Fähigkeiten, Motivation, Gesundheitszustand sowie generelle individuelle Fähigkeiten, mit psychischen Belastungen umzugehen.

Was heißt Schulpraxissemester?

  • Das Schulpraxissemester (SPS) ist für Lehramtsstudierende in Baden-Württemberg verpflichtend. Es besteht aus einem 13-wöchigen Praktikum an einer allgemeinbildenden oder beruflichen Schule sowie pädagogischpsychologischen und fachdidaktischen Begleitveranstaltungen.
  • Das SPS wird in Blockform abgeleistet, beginnt mit dem neuen Schuljahr im September und endet vor den Weihnachtsferien. Die Lehramtsstudierenden hospitieren zehn Stunden wöchentlich und unterrichten insgesamt 30 Stunden. Zudem nehmen sie an schulischen Veranstaltungen wie Konferenzen, Elternabenden und Sporttagen teil.

Welche Rolle spielt Feedback in der Ausbildung?
Studierende sollten von Beginn an das Prinzip der kollegialen Rückmeldung verinnerlichen. Dazu haben wir eine neue Begleitveranstaltung für das Schulpraxissemester konzipiert. Bei der geleiteten Praxisreflexion tauschen sich je vier Studierende und zwei erfahrene Dozenten in einem "geschützten Raum" aus. Themen sind Beziehungsgestaltung, Nähe und Distanz, Umgang mit Konflikten und Feedback-Kultur. So lernen die Teilnehmer den Wert des kollegialen Austauschs und der sozialen Unterstützung kennen. Und machen die Erfahrung, dass sie nicht als "Einzelkämpfer" agieren müssen. Eine Evaluation hat ergeben, dass unsere Studierenden dieses Konzept als sehr hilfreich empfi nden.

Sie erwähnten, dass Veranstaltungen zur "Work-Life-Balance" eher zurückhaltend belegt werden. Wie sieht es in den Kollegien aus - sind Burnout und Depression in Schulen ein Tabu?
Ich habe den Eindruck, dass Lehrkräfte sich eher schwer damit tun, über Belastungsgrenzen und eventuelle psychische Erkrankungen zu reden. Deswegen ist es richtig, dieses Tabu aufzubrechen, indem sich Lehramtsstudierende bereits während der Ausbildung intensiv damit auseinandersetzen.

Wie bleibt man trotz Belastungen gesund? Bitte drei kurzgefasste Ratschläge für Nachwuchslehrer.
Lerne Nein zu sagen, entwickle Lebensfreude. Und sorge dafür, dass Du mit anderen in Kontakt kommst.

Zur Person
Dr. phil. Sebastian Jünger, Jahrgang 1975, studierte Kommunikationswissenschaft , Philosophie und Sprachwissenschaft in Münster. Tätigkeiten als Dozent an Fachhochschule und Universität. Seit 2011 Fachbereichsleiter für das "Modul Personale Kompetenz" (kurz: MPK) am Zentrum für Schlüsselqualifikationen der Albert- Ludwigs-Universität Freiburg. Weitere Informationen zu aktuellen Lehrveranstaltungen unter www.zfs.uni-freiburg. de/studium/mpk.

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