Michaela Beyer ist seit 2006 als Schulleiterin an einer Berufsfachschule für Logopädie tätig.

"Einwänden offen begegnen"

Wie sieht ein wertschätzender Führungsstil an Schulen aus? DGUV pluspunkt sprach mit Michaela Beyer, Leiterin einer Berufsfachschule für Logopädie in Ulm. Neben der Schulleitung arbeitet sie freiberuflich als systemische Organisationsberaterin und trainiert Führungskräfte.

Frau Beyer, nehmen wir an, ich befragte Lehrkräfte und Schülerschaft über Ihren Führungsstil: Wie würden die Antworten ausfallen?
Das Feedback bei den jährlichen Mitarbeitergesprächen war positiv. Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte arbeiten gern mit mir zusammen, weil sie sich informiert fühlen und an Entscheidungen beteiligt werden.

Wie hat sich die systemische Ausbildung auf Ihre Rolle als Schulleiterin ausgewirkt?
Mir ist bewusster geworden, wie vielfältig Menschen die Welt sehen können. Ein zentrales Thema der systemischen Ausbildung ist es, Beschreibungen von Wirklichkeit zu akzeptieren, die nicht den eigenen Überzeugungen entsprechen. Anstatt diese Beschreibungen als Angriff zu verstehen, richtet sich der systemische Blick auf das konstruktive Potenzial, das in den Äußerungen oder Verhaltensmustern der Mitarbeiter zu finden ist.

Was bedeutet das für den Alltag in der Schule?
Ein Beispiel: Wer zügig seine Aufgaben erledigt, stört sich vielleicht daran, dass es andere ruhiger angehen lassen. Aus systemischer Sicht wird diese Unterschiedlichkeit weitgehend als Bereicherung des Teams verstanden. Es wird gefragt: Wozu könnte dieses Verhalten gut sein? Vielleicht ist der Mitarbeiter nicht der schnellste, besitzt aber kommunikative Fähigkeiten und sorgt für gute Stimmung im Kollegium. Verhaltensmuster, Einwände und Kritik werden als Ausdruck eines Bedürfnisses zugelassen und dann utilisiert, also nutzbar gemacht.

Wie würden Sie als Vorgesetzte in diesem Fall weiter vorgehen?
Ich würde das Gespräch suchen und die Stärke des Mitarbeiters wertschätzen. Anschließend kann die Rede auch auf seine vermeintliche Schwäche kommen und dass bestimmte Aufgaben schneller erledigt werden sollten.

Wertschätzend führen heißt auch, neben den Lehrkräften auch Schülerinnen und Schüler an Entscheidungen zu beteiligen. Wie läuft das an Ihrer Berufsfachschule?
Wir haben neulich das Instrument des Problemlösungspools erprobt. Klassensprecher, Lehrkräfte und Schulleitung setzten sich zusammen, es wurden Rollen als Problembeschreiber, Hypothesen- und Lösungsfinder verteilt. Die Teilnehmer konnten sagen, was sie im Schulalltag gut finden und wo es aus ihrer Sicht hakt. Das Ganze lief in einer kreativen Atmosphäre ab. Für einige Probleme wurden auch schon Lösungen gefunden und in die Tat umgesetzt.

DieTrainerin und Beraterin bietet seit 2001 Seminare und Trainings zum Thema Elternarbeit und Elternberatung an.

In welcher Form wurde die Kritik von Schülerseite vorgebracht?
Ich fand gut, dass die Sandwich-Technik zum Einsatz kam. Dabei beginnt man mit einer positiven Einstimmung, dann kommt der Kritikpunkt oder das Anliegen. Abgeschlossen wird wiederum mit einem positiven Kommentar. Oft ensichtlich hat der Kommunikationsunterricht bei unseren angehenden Therapeuten Früchte getragen.

Wie führt man wertschätzend, wenn es Konflikte gibt?
Ich kann für Transparenz sorgen und darüber informieren, warum ich eine unliebsame Entscheidung treffen musste. Vielleicht sitze ich selbst in einer Zwickmühle. Wichtig ist auch, Konflikte nicht lange schwelen zu lassen. Aber trotz einer grundsätzlich wertschätzenden Haltung werden manchmal auch Entscheidungen gegen Widerstände getroffen werden müssen. Führen bedeutet zu wissen, wann man auf Dialog setzt und wann es keine Diskussionen mehr gibt.

Welche Rolle spielt dabei die Persönlichkeit des Gegenübers?
Den Prinzipien der potenzialorientierten Mitarbeiterführung zufolge eine große. Zugespitzt gesagt: Ein eher träger Mitarbeiter braucht klare Ansagen, der Dynamiker kann mit mehr Freiraum leben.

Was raten Sie, wenn das wertschätzende Klima in einem Kollegium nicht sehr ausgeprägt ist?
Man kann einen externen Berater beauftragen, zum Beispiel einen Coach oder Supervisor. Im sozialen Bereich ist Supervision ja eine Selbstverständlichkeit, an allgemeinbildenden Schulen ist sie leider die Ausnahme.

Warum? Lassen sich Lehrerinnen und Lehrer nicht so gern in die Karten gucken?
Lehrkräfte sehen sich oft nicht als Mitglied eines Teams, sondern als Einzelkämpfer. Und befürchten, sich bei einer Supervision vor Kollegen gewissermaßen zu entblößen. Aus meiner Sicht kann Supervision positiv auf den Schulalltag wirken. Wie im Kollegium miteinander umgegangen wird, strahlt auf die gesamte Schulgemeinschaft aus.

Manche Lehrkräfte möchten ihre Schule reformieren, aber einige Kollegen wollen nicht mitziehen. Was raten Sie Idealisten, die sich ausgebremst fühlen?
Ich würde die Einwände der Bedenkenträger ernst nehmen und prüfen, welche positiven Nutzen sie für den Reformprozess entfalten könnten. Auf diese Art mit Kritik umzugehen, ist auch eine Form von Wertschätzung. So lässt sich vielleicht der ein oder andere skeptische Kollege mit ins Boot holen. Einwänden offen zu begegnen, ermöglicht zudem mehr Gelassenheit für die Führungskraft , denn sie reibt sich nicht so an den Widerständen des Schulalltags auf.

Als Schulleiterin muss man permanent und schnell Entscheidungen treffen. Wie reagieren Sie, wenn Sie einen Fehler begangen haben?
Dann sollte man sich nicht persönlich abwerten, sondern seine Entscheidung nachbessern. Fehler sind Entwicklungschancen und sollten von Führungskräften offen kommuniziert werden.

Wie viel Spaß macht es Ihnen, eine Schule zu leiten?
Ich habe viel Freude an der Teamarbeit entwickelt. In meinem früheren Alltag als Logopädin war ich auf mich allein gestellt und habe einen Patienten nach dem anderen behandelt. So gesehen ist die Tätigkeit als Schulleiterin eine Bereicherung.

Das Gespräch führte René de Ridder,
Redakteur bei DGUV pluspunkt.

Systemische Organisationsberatung

gibt nicht "Expertenlösungen" vor, sondern versteht sich als Prozessberatung. Sie unterstützt Führungskräfte und Teams bei der Teamentwicklung, bei Veränderungsprozessen und in den Bereichen Führung, Personal- und Organisationsentwicklung und Unternehmenskultur.
Der Ansatz fokussiert auf Ressourcen und Leistungen des Teams und der Teammitglieder. Unterschiedliche Sichtweisen im Team werden als Potenzial für Lösungen erschlossen.

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