Das Goethe-Gymnasium in Hamburg, einem Typen-Plattenbau aus den Anfängen der 1970er Jahre, hat seit einigen Jahren für jede Lehrkraft einen eigenen Arbeitsplatz eingerichtet. Damit könnte das Gymnasium zum Wegbereiter eines neuen Trends bei Schulbauten werden. Denn die Auswirkungen von vergleichsweise geringen baulichen Veränderungen auf das schulische Miteinander sind immens: Die Arbeitszufriedenheit und Motivation der Lehrkräfte ist hoch. Interne Kommunikation und Kooperation haben sich wesentlich verbessert. Berufs- und Privatleben sind stärker voneinander getrennt und damit Freiräume zur Entspannung gesichert. Das sind die Ergebnisse der Beobachtungen und Umfragen durch das COPING Institut für Psychologische Diagnostik und Personalentwicklung unter der Leitung von Professor Uwe Schaarschmidt, der viele Studien zur Lehrergesundheit veröffentlicht hat.
Eine Ganztagsschule werden
Ein solch ehrgeiziges Projekt braucht einen Motor. Jemanden, der die Fäden zusammenhält und unkonventionelle Lösungen sucht, der Durchhaltevermögen hat und andere mit seinem Engagement anstecken kann. Jemanden wie Egon Tegge. Seit 2002 managt er das Schulgeschehen am Goethe-Gymnasium. "Zuvor war ich mehrere Jahre Personalrat in der Hamburger Schulbehörde", erzählt er. "Dort hörte ich immer wieder die Klagen über die schwierigen Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte wie Arbeitsüberlastung, umfangreiche Heimarbeit und fehlende Rückzugsräume in den Schulen. Als ich die Leitung des Goethe-Gymnasiums übernahm, habe ich mir die Frage gestellt: Muss das an deiner Schule so bleiben?"
Sein Amtsbeginn fiel in die Zeit, in der die Ganztagsschule Formen annahm. "Prämisse war von Anfang an, dass wir nicht einfach nur den Unterricht verlängern und mit einer Mensa garnieren wollten." Die Umorganisation des gesamten Schultages brachte für die Lehrkräfte eine einstündige Mittagspause mit sich. Zudem wurden ihre Arbeitstage erheblich länger, viele Freistunden inklusive. "All diese Nicht-Unterrichtszeit im Schulgebäude, im Lehrerzimmer zu verbringen - das war unzumutbar und auch ineffektiv."
Ungenutzte Flächen umfunktionieren
Die Ganztagsentwicklung gab Tegges Überlegungen, wie er die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte verbessern könnte, zusätzlichen Auftrieb. Er begann, das gesamte Gebäude zu scannen: Manch ein Raum - etwa der Raucherraum oder einzelne Fachbibliotheken - wurde in seiner ursprünglichen Funktion nicht mehr benötigt. Andere Räume waren größer dimensioniert als notwendig: Im Serverraum, im Sammlungsraum Kunst oder auch im Materialraum der Naturwissenschaften entdeckte der Schulleiter größere ungenutzte Flächen.
"Ich bin schrittweise vorgegangen, habe nichts verordnet, auch kein Gesamtkonzept erarbeitet, aber monatelang in Gremien diskutiert. Ich habe mit Inseln angefangen, mit den Kollegen, die selbst den Wunsch nach Rückzugsräumen äußerten und auch Ideen einbrachten. Das hat die anderen ganz von alleine nach sich gezogen", berichtet Tegge. Ungenutzte Räume wurden zu Arbeitszimmern. Unnötig große Räume wurden mit Hilfe von Trennwänden aus Rigips oder auch Glas in kleinere Einheiten unterteilt. Mancherorts war ein neuer Türdurchbruch nötig. Unterrichtsräume wurden allerdings nicht umfunktioniert.
Eigene Arbeitsplätze einrichten
Heute hat jeder der 65 Lehrkräfte und Referendare einen eigenen Arbeitsplatz und ausreichend Stauraum für Materialien. Drei bis sechs Kollegen teilen sich je einen Raum. Das Lehrerzimmer verwandelte sich in einen gemütlichen Aufenthaltsraum mit Sitzgruppen und Kaffeeautomat. "Der große Vorteil in Hamburg war: Jede Schule hatte ein Budget zur Bauunterhaltung, etwa für Fensterreparaturen, Sanitärerneuerungen oder Dachausbesserungen. Damit hatte ich als Schulleiter eine hohe Selbstverantwortung und viel Gestaltungsspielraum.Durch geschickte Haushaltsführung ist manches möglich. Insgesamt haben wir mit rund 30.000 Euro abenteuerlich wenig für Umbauten ausgegeben, dann nochmal dieselbe Summe für Möbel." Die mussten in vielen Fällen auch den räumlichen Gegebenheiten angepasst werden. Statt fertiger Schreibtische wurden individuell zugeschnittene Arbeitsplatten verwendet. Nicht überall fanden raumhohe Regale Platz. Der eine brachte einen gemütlichen Sessel mit, der andere Grünpflanzen, der nächste großformatige Bilder. Ergebnis: Jeder Arbeitsplatz bekam ein persönliches Flair.
Unverzichtbarer Bestandteil der Lehrerarbeitsplätze ist ihre kommunikationstechnische Ausstattung: In jedem der Räume gibt es ein Telefon, für jeden Kollegen einen Computer, der mit dem zentralen Druckerraum verbunden ist. Jede Lehrkraft verfügt über einen eigenen Internetanschluss.
Arbeit in die Schule verlagern
Die Lehrkräfte nutzen ihr eigenes Reich ganz unterschiedlich. "Früher musste man sich in der Schule immer eine Ecke suchen. So war effektives Arbeiten nicht möglich. Ich habe fast alles in den Arbeitskeller mit nach Hause genommen", berichtet Englischlehrer Michael Ferck. Heute nimmt er möglichst nur noch Korrekturen, die hohe Konzentration erfordern, mit nach Hause. Auch für Musiklehrerin Cornelia Barrick ist die Schule der Hauptarbeitsort: "Manchmal bin ich schon bis 20 Uhr hier. Aber dafür habe ich am Wochenende auch meist frei. Außerdem habe ich alle Materialien hier. Das spart viel Platz zuhause." Deutschlehrer Frank Sawatzki ergänzt: "Anders als früher darf jetzt am Ende eines Arbeitstages auch einfach mal alles liegen bleiben. Jeder hat seine eigene Ordnung." Unter dem Strich gilt für die Lehrer: Sie arbeiten mehr in der Schule als früher, können Beruf- und Privatleben besser trennen und haben zuhause mehr Freizeit für sich und die Familie.
Auch im lärmigen Schultrubel bedeuten die Arbeitsräume Rückzugsmöglichkeiten. "Man beginnt den Tag morgens, indem man hier seine Bücher und Hefte holt und kurz in Ruhe aus dem Fenster schaut", beschreibt Englischlehrerin Sabina Mendes. Ihre Fachkollegin Birgit Ohnesorge erledigt zwar familienbedingt einen Großteil der Vor- und Nachbereitungen für den Unterricht weiterhin zuhause. Doch auch sie will den Arbeitsplatz in der Schule nicht mehr missen: "Hier kann ich mich in Ruhe ein bisschen sammeln."
Veränderungen in der Kommunikation
Die neuen Arbeitsplätze haben auch Auswirkungen auf die Kommunikation im Kollegium: Fachkollegen wie etwa die Naturwissenschaftler sind in gemeinsamen Arbeitsräumen näher zusammengerückt. "Ganz viele Absprachen laufen jetzt völlig unkompliziert und oft auch ungeplant nebenher. Wir tauschen uns fast zwangsläufig regelmäßig über unsere Klassen und unsere Unterrichtsinhalte aus", sagt Biologie- und Physiklehrer Stefan Bendix.
Allerdings: Manch ein Kollege fühlt sich an seinem eigenen Arbeitsplatz so wohl, dass der Kontakt mit anderen Kollegen leidet, denn die Lehrerarbeitsplätze befinden sich in neun Gebäuden auf einem weitläufigen Gelände. "Das Lehrerzimmer hat einen Teil seiner gemeinschaftsstiftenden Funktion verloren", bestätigt auch Schulleiter Tegge. "Um den Teamzusammenhalt zu stärken, müssen wir jetzt neue Verkehrsformen finden. Das ist für neue Kollegen ganz besonders wichtig."
Ein Mut machendes Vorbild
Angesichts der Errungenschaften der vergangenen Jahre ist das eine vergleichsweise einfache Aufgabe. Und dann? "Für mich ist der nächste Schritt, andere zu überzeugen, dass unser Weg der richtige ist und gelingen kann. Wenn heute noch Schulen auf dem Reißbrett entstehen, die keine Arbeitsplätze für Lehrkräfte vorsehen, dann grenzt das an Körperverletzung. Wir wissen, dass die bisherigen Arbeitsbedingungen krank machen. Und dass es anders geht. Dafür will ich Mut machen und Vorbild sein."
Eva Neumann ist Freie Journalistin und lebt in der Nähe von Berlin.