Experimente rund ums Wasser: Wann wird es überlaufen?

Offenheit und ein gutes Schulklima prägen die Herman-Nohl-Schule in Berlin Neukölln.

Alles unter einem Dach

Eine inklusive Bildungslandschaft scheint noch weit entfernt. Doch die Herman-Nohl-Schule in Berlin Neukölln hat bereits ein Schulmodell entwickelt, das gemeinsames Lernen realisiert.


Eine lange Treppe führt durch alle vier Ebenen: Die Herman-Nohl-Schule verbindet einen Alt- und einen Neubau zu einem großen Gebäudekomplex. Unter einem Dach lernen hier 400 Schülerinnen und Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse. Neben einer Regelgrundschule für die erste bis sechste Klasse findet sich eine Ganztags-Europagrundschule, an der die Kinder von der ersten bis zur sechsten Klasse bilingual deutsch-italienisch unterrichtet werden, sowie ein sonderpädagogisches Förderzentrum mit dem Schwerpunkt "Lernen" für Kinder der dritten bis zehnten Klasse. Auch ein Hort gehört zur Schule. Die Erzieherinnen und Erzieher, die vormittags an der Schule beschäftigt sind, kümmern sich hier am frühen Morgen und nachmittags um die Kinder.


Projektarbeit

Gerade ist Projektwoche, eine der vielen Gelegenheiten zum gemeinsamen Lernen. Es gibt 18 Projekte rund um das Thema "Erneuerbare Energien". Die Kinder bauen Solaröfen, basteln Sonnenmodelle. Sie besuchen ein Windkraftwerk, reden mit Politikern, spielen eine Klimakonferenz nach und experimentieren. Im Projekt, das der Lehrer Detlef Olbricht gemeinsam mit Lehrerin Verena Herz und Sonderpädagogin Solange Kruse anbietet, sind die Kinder in vier Gruppen aufgeteilt. Sie beschäftigen sich mit Energiegewinnung aus Wasserkraft, Sonnenlicht, Wind und mit neuen Möglichkeiten der Mobilität. Sechstklässlerin Anuar aus der Sonnenenergie-Gruppe arbeitet mit dem Viertklässler Leonardo zusammen, der fließend Italienisch spricht, und mit Francesco, der normalerweise die achte Klasse des Förderzentrums besucht. "Die Großen lernen von den Kleinen und andersherum", erklärt Sonderpädagogin Solange Kruse. "Wenn zum Beispiel die Kleinen einen Jungen aus dem Förderzentrum bitten, doch zum Windrad noch eine Landschaft zu malen, und der Achtklässler dies tatsächlich tut, dann profitieren beide Seiten davon."


Offenheit

Offenheit prägt die ganze Schule. Schulleiterin Ilona Bernsdorf ist überzeugt davon, dass Teamarbeit und Netzwerke den Kindern zu Gute kommen. Sie ist rund 60 Kooperationen eingegangen: mit anderen Schulen, Wirtschaftsbetrieben, sozialen Einrichtungen, Sportvereinen und einem Zirkus.

Gemeinsam basteln die Kinder eine Sonne aus Pappmaché.

Gemeinsam basteln die Kinder eine Sonne aus Pappmaché.

Auch die rund 60 Lehrerinnen und Lehrer im Kollegium haben unterschiedliche Voraussetzungen. Sie sind "normale" und in Italien ausgebildete Grundschullehrer, Sonderschullehrer und Erzieher. Aber alle zeichnet eines aus - ihre Offenheit und Bereitschaft zum kollegialen Miteinander. Auf den Fluren wird viel gesprochen und diskutiert, genau wie in den Klassenzimmern. Man hört deutsche und italienische Worte, denn auch viele Eltern sind italienische Muttersprachler. An einer solchen Schule sind Teamabsprachen nötig, die Kommunikation mit Kindern und Kollegen steht im Mittelpunkt. Den Unterricht, in dem ein Lehrer allein vor seiner Klasse steht, gibt es kaum noch. Lehren ist Teamarbeit, die Lehrer brauchen viel Energie und Empathie. Jeder Schüler benötigt eine individuelle Förderung, die nur möglich ist, wenn verschiedene Kenntnisse gebündelt werden. "Wir haben den Vorteil, dass sich die Kollegen gegenseitig beraten", erklärt Ilona Bernsdorf. "Häufig wird das Know-how unserer Sonderpädagogen und Erzieher auch in der Grundschule gebraucht. Temporäre Lerngruppen können wir zeitnah vor Ort umsetzen." Auch Schulwechsel, die zwischen Grundschule und Förderzentrum vorkommen, sind für die Kinder weniger schwierig, da sie die Schule und die Lehrer bereits kennen und ihr soziales Umfeld zum größten Teil bestehen bleibt. Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf bleiben in den ersten beiden Jahren in der Grundschule. Dort gibt es das jahrgangsübergreifende Lernen. Jeweils ein Drittel der 1. bis 3. Klassen bildet gemeinsam eine Lerngruppe, die von zwei bis drei Lehrenden betreut wird.


Chance auf Entwicklung

Der sechsjährige Roberto tanzt und singt mit anderen Grundschulkindern in einem Klassenraum. Konzentriert schauen die Kinder auf das Whiteboard, auf dem die Bewegungen gezeigt werden. Das Lied ist italienisch und es geht um die Sonnenenergie. Roberto fällt es nicht leicht, seine Bewegungen zu koordinieren, doch er ist eifrig bei der Sache. Seine Mutter Elisabetta Bonifanti erzählt: "Als Roberto vier Jahre alt war, bemerkten wir eine Entwicklungsverzögerung, vor allem in seinen Sprachfähigkeiten. Er war dann in Behandlung bei einem Logopäden, bekam Bewegungsförderung und war auch in der Kita ein Integrationskind." Elisabetta Bonifanti ist die Schulelternsprecherin. Sie hat noch eine Tochter in der fünften Klasse der Europagrundschule. "Ich bin glücklich, dass Roberto die bilinguale Schule besuchen kann, trotz seiner Beeinträchtigung. Er ist sehr motiviert und kann sich entwickeln. Das alles ist nur möglich, weil die Lehrer aufgeschlossen und auch zur Zusammenarbeit mit der Logopädin bereit sind." Bei Roberto besteht der Verdacht auf eine auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Wie diese sich weiter auswirken wird, kann man nicht vorhersagen. Elisabetta Bonifanti betont: "Auch die Eltern sind häufig unsicher und brauchen Beratung. Das muss die Schule durch entsprechende Fachkräfte leisten."

Robinienwald: Auf dem Pfad der vierhunderten Hände haben sich alle Kinder der Schule verewigt.

Steckbrief der Herman-Nohl-Schule

Standort: Berlin Neukölln

Rund 400 Schüler

Drei Schulen unter einem Dach:
- Regelgrundschule 1. bis 6.
  Klasse
- Staatliche Europaschule,
  bilingual deutsch-italienisch,
  1. bis 6. Klasse
- Sonderpädagogisches
  Förderzentrum, 3. bis 10.
  Klasse

Jahrgangsübergreifendes Lernen in den Klassen 1 bis 3

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Präventionspreis 2010 für ganzheitliche Gesundheitsförderung

Die Herman-Nohl-Schule im Internet

Schulabschluss am Förderzentrum
An der Herman-Nohl-Schule können die Kinder nach dem Besuch des Förderzentrums in der zehnten Klasse ihren Hauptschulabschluss machen. Einige Kinder wechseln auch an die Regelschule, um dort einen Abschluss zu machen. In so genannten Schülerfirmen sammeln sie am Förderzentrum Praxiserfahrungen für ihre berufliche Zukunft: Im Catering bereiten sie Pausenmahlzeiten zu, sie bewirtschaften einen eigenen Schulgarten. Eine "Lernspielfactory" stellt pädagogische Materialien aus Holz her und die Malerwerkstatt führt Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten durch. Die "Rad-Checker" reparieren und überprüfen die Fahrräder der jüngeren Kinder auf Verkehrssicherheit, die Mediengruppe erstellt Präsentationen, macht Fotos und übt sich im Schreiben von Portfolios.
Schwierigkeiten zwischen den Kindern der unterschiedlichen Schulformen gibt es trotz der großen Unterschiede wenige. Die Kinder kennen sich gut, sie haben gemeinsame Pausen, sind im Schulgebäude zusammen, feiern gemeinsame Feste und haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl.


Inklusion - aber wie?

Inklusion funktioniert hier auf vielen Ebenen: drei unterschiedliche Schulformen, jahrgangsübergreifendes Lernen. Die Schule liegt im sozialen Brennpunkt Neukölln. 70 Prozent der Kinder haben einen Migrationshintergrund, insgesamt kommen sie aus 28 verschiedenen Nationen. Da ist Inklusion auch auf sprachlicher und kultureller Ebene nötig. Und natürlich auf der Ebene der Lernbeeinträchtigungen, da mit Integrationskindern und den Kindern aus dem Förderzentrum gemeinsam gearbeitet wird.
Gerade eine solche Schule, die in ihrer Art einzigartig ist und es geschafft hat, individuelle Bildung für die Kinder zu ermöglichen, ist aber von der Inklusion in ihrer letzten Konsequenz bedroht. Denn hier gibt es ein sonderpädagogisches Förderzentrum, das in der inkludierten Bildungslandschaft nicht mehr vorgesehen ist. "Die Bedingungen müssen so sein, dass die Kinder nicht auf der Strecke bleiben. Auch Lehrer müssen im Prozess der Umorientierung gut begleitet sein. Inklusion kann funktionieren, wenn die Personaldecke stimmt", betont Schulleiterin Bernsdorf. "Nur ein oder zwei Sonderpädagogen pro Schule für Lerngruppen, Elternberatung und Diagnostik reichen nicht aus. Da fehlt der kollegiale Austausch, von dem wir an dieser Schule so sehr profitieren." Feinfühligkeit ist gefragt, bevor einer solchen Schule durch pauschale Vorgaben Steine in den Weg gelegt werden.

 

AUTOR

Eva Susanne Schmidt Eva Susanne Schmidt ist freie Journalistin und lebt in Mörfelden-Walldorf.

Fotoquelle:
Eva Susanne Schmidt

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